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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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sein Herz überschlug sich beinahe vor Freude und vor Erleichterung.
    »Nana!« Jetzt schrie er ihren Namen. Und endlich gab sie Antwort: »Michael?«
    Rouven stürzte in die Halle hinein und fiel Nana um den Hals. »Ja«, sagte er lachend. »Michael. Bernie. Arthur. Was immer du willst. Schön, dich zu sehen.«
    Sie lachte mit ihm. »Na, nun übertreib mal nicht. Du tust ja gerade so, als wärst du wochenlang fort gewesen.«
    Noch nie hatte sich Rouven so zu Hause gefühlt. »Ja, stimmt. Du hast recht. Es ist einfach immer wieder schön, dich zu sehen, Nana.«
    Plötzlich kicherte sie. »Was hast du denn bloß an? Wieso kommst du in einer Uniform? Ist das eine Polizeiuniform? Michael, hast du den Beruf gewechselt?«
    Er sah an sich herab. Ach ja, die Uniform. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht. »Kostümfest«, sagte er schnell. »Ich bin eingeladen heute.«
    Sie zischte amüsiert durch die Zähne. »So was. Also, die jungen Leute von heute   …«
    Rouven wunderte sich. Nana sah aus wie immer. Auch die Halle war so, wie Rouven es kannte. Sie schien überraschend gut zurechtzukommen. Auch ohne ihn.
    Es war, als ob eine tonnenschwere Last von ihm fiel. Seine Ängste waren unbegründet gewesen. Es ging ihr gut. Sehr gut sogar.
    »Hast du etwas zu Essen?«, fragte er.
    »Oh, dafür bist du zu früh dran«, war die Antwort. »Ich wollte gleich erst kochen. Aber du kannst dir einen Apfel nehmen, wenn du Hunger hast.«
    »Nein, so meinte ich das nicht. Was machen deine Vorräte?«
    Sie lächelte. »Alles da.« Und sie zeigte auf den langen Schrank neben ihrem Bollerofen, wo sie stets die Lebensmittel aufbewahrte, die Rouven ihr besorgt hatte.
    Es fehlte nicht viel. Rouven staunte. Entweder war sie sehr sparsam damit umgegangen in der letzten Zeit oder aber sie hatte einen Weg gefunden, für Nachschub zu sorgen.
    »Warst du unterwegs?«, fragte er.
    »Ich? Ach was. Wo sollte ich denn hingehen? Geht mir doch gut hier.«
    »War denn jemand hier?«, hakte Rouven nach, den Schrank mit den Vorräten weiter im Blick.
    »Na ja   … wer halt immer so vorbeikommt«, antwortete Nana, und Rouven wurde klar, dass er mit dieser Frage noch nie weit gekommen war. Doch dann überraschte sie ihn: »Denkst du an jemand Bestimmten?«
    Er wagte es kaum, ihren Namen auszusprechen: »War Tabitha hier?«
    Nana grübelte. »Tabitha? Kenne ich sie denn?«
    »Das Mädchen, mit dem ich neulich hier war.«
    Augenblicklich begann sie zu lachen. »Du? Hier? Mit einem Mädchen??« Sie schüttelte sich regelrecht. »Du bist doch verheiratet. Warum solltest du ein Mädchen mitbringen?«
    Rouven wurde ungeduldig. Nana lebte zu sehr in ihrer eigenen Welt. In ihrer bruchstückhaften Vergangenheit. Er versuchte es auf eine andere Art: »Hatte Bernie mal ein Mädchen dabei? Oder Arthur?«
    Sie dachte angestrengt nach. »Nein, nicht dass ich wüsste   …«
    Rouven verzweifelte beinahe, doch da kam ihm ein Gedanke. Er erinnerte sich an die erste Begegnung von Tabitha mit Nana. »Clara?«, fragte er hastig. »War Clara noch einmal hier gewesen?«
    Nanas Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Mit einem Mal war ihr nicht mehr zum Lachen. »Was soll das?«, herrschte sie Rouven an. »Willst du mich verschaukeln? Du weißt genau, dass Clara seit Jahren in Australien lebt. Und dass sie nichts von sich hören lässt. Und dass ich nicht einmal weiß, ob   …« Tränen schossen ihr in die Augen. Rouven tat es leid, sie an schmerzende Dinge zu erinnern, doch er brauchte Gewissheit. Jetzt. Die Zeit lief ihm so durch die Finger. In seinem Inneren begann es zu brodeln.
    »Also ehrlich«, schimpfte Nana weiter. »Wie kannst du mir solche Fragen stellen, Michael. Wo du doch weißt   …«
    Nun gingen Rouven endgültig die Nerven durch. »Ich bin nicht Michael«, brüllte er und packte Nana an den Schultern. »Hörst du? Ich bin nicht Michael! Und auch nicht Bernie oder Arthur. Ich bin Rouven. Rouven, mit dem du seit Monaten hier lebst. Und ich muss von dir wissen, ob du Tabitha gesehen hast. War sie hier? Gibt   … gibt es sie überhaupt? Hast du sie wirklich gesehen? Neulich   … als   …«
    Erschrocken über sich selbst zog er die Hände zurück. Nana sah ihn mit einem entsetzten Blick an, und Rouven wurde erst jetzt bewusst, was er gerade getan hatte.
    »Entschuldige   … Nana   … Ich   …«
    »Du   … du machst mir Angst«, sagte Nana mit gebrochener Stimme. »Was ist mit dir, Michael? Warum sprichst du so mit mir? Rouven? Tabitha? Das alles sagt mir

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