Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
Vom Netzwerk:
ist?«, wiederholte der Italiener. »Woher weißt du das alles? Und wie gelingt es dir, solche Worte zu finden?«
    Rouven schwieg weiter, und Bertoli fügte hinzu: »Ich bin dir dankbar, Junge. Du hast mein Leben gerettet und wieder in ordentliche Bahnen gelenkt. Ich fühle mich wie neugeboren. Und das verdanke ich dir. Wenn ich irgendwas für dich tun kann, Rouven. Irgendetwas   – lass es mich wissen, ja?«
    Es waren diese letzten Worte, die Rouven endlich aus seiner Erstarrung weckten. Es gab tatsächlich etwas, das sein Besucher für ihn tun konnte.
    »Meinen Sie das ernst?«, tastete sich Rouven erst einmal heran.
    »Unbedingt!«, beharrte Bertoli. »Ich stehe tief in deiner Schuld, mein Junge. Betrachte mich als deinen Freund, wenn du magst. Hast du denn eine Bitte an mich? Weitere Schokolade?« Er lachte kurz auf. »Das wäre kein Problem! Ich kann dir auch gern italienische Schokolade   …«
    Rouven schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Das ist es nicht. Ich habe eine andere Bitte.«
    »Nur raus damit!«
    »Lassen Sie mich noch einmal für eine Nacht hier heraus.«
    Bertoli verlor in Sekundenschnelle alle Farbe aus dem Gesicht. »Das meinst du nicht ernst!«
    Rouven trat an ihn heran. In den vergangenen Wochen hatte er sich zwar sicher gefühlt in seiner Zelle, doch inzwischen machte er sich Sorgen. Um Nana. Um Tabitha. »Ich habe einige Dinge zu erledigen. Es gibt Menschen, nach denen ich sehen möchte. Ein paar Fragen, die ich zu klären habe. Ich brauche nur ein paar Stunden. Mit Ihrer Chipkarte. Ich   …«
    Bertoli trat einen Schritt zurück. »Das kannst du nicht von mir verlangen, Rouven. Das kann ich nicht   …«
    »Ich komme wieder«, fasste Rouven nach. »Sie haben ja schon einmal gesehen, dass es mir nicht um Flucht geht. In ein paar Stunden komme ich zurück.« Und für sich dachte er: Länger traue ich mir selbst ohnehin nicht.
    Es war zu erkennen, wie Bertoli mit sich rang. »Wie stellst du dir das vor? Ich bin hier, um dich zu bewachen. Ich kann dich nicht einfach hier herausspazieren lassen. Ich bin Polizist.«
    Rouven ließ den Kopf hängen. Für einen Moment hatte er eineChance gesehen, Nana zu besuchen oder Tabitha noch einmal zu treffen. Doch natürlich verstand er Bertoli. Sehr gut sogar. Rouven schämte sich bereits, den Mann um einen solchen Gefallen gebeten zu haben.
    »Bitte entschuldigen Sie«, brachte er hervor, und Bertoli antwortete erleichtert: »Ist gut, mein Junge. Schön, dass du mich verstehst. Das ist sicher eine harte Zeit für dich. Morgen bringe ich dir die italienische Schokolade, in Ordnung?«
    Rouven nickte. »Ja, gern. Und verzeihen Sie noch einmal. Ich wollte Sie nicht   … Auf keinen Fall hatte ich vor   … Ich   … Ich   …« Rouven stockte. Etwas ging mit ihm vor. Etwas tief in seinem Inneren begann sich zu regen. Ein Impuls kam in ihm auf. Ein Drang, etwas zu tun. Etwas zu sagen. Rouven versuchte, sich dagegen zu wehren.
    Auch Bertoli fiel auf, dass etwas nicht stimmte. Er trat wieder an die Gitterstäbe heran. »Ist was, Junge?«
    Die Regung in seinem Inneren war übermächtig. Es war Rouven unmöglich, dagegen anzukämpfen. Es kam aus seinem tiefsten Inneren und nahm auf Anhieb Besitz von seinem Geist. Rouven spürte, wie er sich selbst verlor. Wie er zur Marionette dessen wurde, was in ihm vorging. Und so konnte er nur hilflos beobachten, was im nächsten Moment geschah.
    Er sah, wie seine Hand vorschnellte und die Hand des Polizisten ergriff. Der schrie erschrocken auf, doch Rouven lockerte seinen Griff nicht. Im Gegenteil. Nun ergriff er auch die andere Hand des Italieners und zog ihn näher an sich heran.
    Der Polizist zitterte vor Angst. Vor allem, als er die Veränderung bemerkte, die mit Rouvens Augen vor sich ging. Sie schienen alle Farbe zu verlieren. »Was hast du vor? Was soll das?«
    Und in diesem Moment hörte Rouven sich sprechen. Er hörte seine Stimme, doch das, was er sagte, kam nicht von ihm selbst. Es war eine innere Kraft, die ihn dazu brachte, den Italiener anzusprechen.
    »Bitte hör mir zu«, hörte Rouven seine Stimme. »Lass dir von mir erzählen, von den Dingen, die mich bewegen. Von den Menschen, die mir nahestehen.« Und dann sprach die Stimme aus Rouven heraus.Er hörte Worte, die er zum Teil nicht kannte, deren Sinn er aber sofort verstand. Rouvens Stimme legte dem verblüfften Polizisten seine Situation dar. Sie erzählte ihm, was Tabitha ihm bedeutete und wie sehr er sich um Nana sorgte. Sie fand wunderbare

Weitere Kostenlose Bücher