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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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nichts. Was   … was   …?«
    Sie war völlig verstört, und Rouven wäre am liebsten im Erdboden versunken vor Scham, dass er Nana so etwas angetan hatte. Er wäre besser in seiner Zelle geblieben. Es war nicht einmal eine Stunde her, dass er das Polizeipräsidium verlassen hatte, und schon stürzte er wieder einen Menschen ins Unglück! Er war eine Gefahr. Unberechenbar.
    »Es tut mir leid«, brachte er hervor und nahm sie noch einmal in den Arm. »Vergiss bitte, was ich gesagt habe. Es war Unsinn.«
    Er fühlte sich schrecklich. Hier bat er eine Frau, die ihr Gedächtnis verloren hatte, darum, zu vergessen. Gleichzeitig jagte er vermutlich einem Phantom hinterher. Jemandem, den es gar nicht gab. Den es nicht geben konnte, weil er bereits vor sieben Jahren gestorben war.
    Tabitha war eine Einbildung gewesen, das wurde ihm jetzt schmerzhaft bewusst.
    Es war gewiss, dass er neulich in ihrer Wohnung, nach dieser Neumondnacht, ein Bild von ihr gesehen hatte, das ihre Eltern vielleicht zum Andenken an die Wand gehangen hatten. Vielleicht hatte er ihr Bild so gemocht, dass er sich eingebildet hatte, sie zu sehen. Vielleicht war er so einsam, dass er sich nach jemandem gesehnt hatte. Und wenn es nur ein Geist, die Einbildung eines Menschen, gewesen war.
    Er schluchzte.
    »Was ist mit dir?«, erkundigte sich Nana in ihrem gewohnten Tonfall. »Michael, was hast du nur?«
    Jetzt liefen ihm erst recht Tränen über das Gesicht. Zwar war er überrascht, wie schnell Nana Dinge vergessen konnte, doch gerade in diesem Moment, nach der Attacke von vorhin, war es wie eine Erlösung. Als hätte sie ihm verziehen.
    Er löste sich von ihr. »Es geht schon wieder, Nana. Danke.«
    »Hast du Sorgen?«, erkundigte sie sich voller ehrlicher Anteilnahme.
    »Ich vermisse jemanden«, antwortete Rouven. »Sie fehlt mir so sehr.«
    Die Großmutter nickte. »Du wirst darüber hinwegkommen«, gab sie zur Antwort. Dann drehte sie sich ihrem Bollerofen zu und begann, eines ihrer Lieder anzustimmen.
    Rouven entfernte sich langsam von ihr. Immer noch erschüttert von der Heftigkeit, mit der er sie angeschrien hatte, verließ er die Halle des Wasserwerks.
    »Mach’s gut, Nana«, flüsterte er noch. »Wir werden uns einige Zeit nicht sehen. Doch es tut gut zu wissen, dass du zurechtkommst. Und   … und dass du mir verziehen hast.«
    Er wandte sich um und rannte los. Auf keinen Fall wollte er, dass sie ihn erneut weinen sah.
    Sein Verstand riet ihm, zurück ins Gefängnis zu laufen. Dorthin, wo er sicher war. Und wo die Menschen vor ihm sicher waren. Der Angriff auf Nana vorhin hatte gezeigt, dass er sich kaum im Griff hatte.
    Doch sein Herz ließ ihn einen anderen Weg einschlagen. Immer wieder sah Rouven Tabithas Gesicht vor seinem inneren Auge. Er brauchte Gewissheit. Sie war der einzige Anker in seinem Leben   – wenn es sie denn gab.
    Wie von selbst suchten seine Füße den Weg zu Tabithas Wohnung. Dorthin, wo er ihr zum ersten Mal begegnet war   – wenn er ihr denn begegnet war. Er wollte hinein und nach etwas suchen, was ihm endlich Klarheit verschaffte, ob er sie sich eingebildet hatte oder ob es sie wirklich gab.
    Vielleicht stieß er auf das Foto, das in ihm alle Fantasie ausgelöst hatte. Oder aber auf einen Hinweis, dass Mayers sich irrte. Dass Tabitha immer noch lebte.
    Entschlossen bog er in die Straße ein, als er abrupt stehen blieb. Direkt vor dem Haus parkte ein Wagen. Es war die gleiche Marke wie das Auto, unter dem sich Rouven nach der Neumondnacht vor Mayers und Tallwitz versteckt hatte. Es parkte sogar an der exakt gleichen Stelle.
    Rouven näherte sich dem Wagen vorsichtig, immer darauf bedacht, den Schutz der Dunkelheit zu nutzen. Er drückte sich gegen die Häuserwände und vermied es, zu nahe an die Lichtkegel der Straßenlaternen zu geraten.
    Als er dicht vor dem Auto stand, wurde seine Vorsicht bestätigt. Er erkannte einen der beiden Männer, die im Wagen saßen. Derjenige, den Rouven hinter dem Steuer ausmachte, war eindeutig der Polizist, der Rouven in der Tafel zu Boden gedrückt hatte. Und tatsächlich: Rouven konnte sehen, dass der Mann beide Arme verbunden hatte. Anscheinend machten ihm die Verbrennungen, die er sich durch Rouven zugezogen hatte, noch immer Probleme.
    Dennoch: Rouven hätte in diesem Moment ohne zu zögern sein Leben gegen das des Polizisten eingetauscht. Auch gegen das seines Partners, auch wenn er von dem Mann nur schemenhaft den Hinterkopf erkennen konnte. Heute Nacht hätte Rouven mit

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