Sichelmond
Mayers ins Grübeln. Er wusste nicht, ob er lachen oder losbrüllen sollte. »Willst du mich veräppeln?«, raunte er mit unterdrückter Wut ins Telefon. »Wir beide planen doch kein Picknick. Du bist ein gesuchter Krimineller und gehörst hinter Gitter. Und es liegt nicht an dir, zu entscheiden, wann oder ob …«
Rouven schien Mayers’ Reaktion nicht zu beachten. In ruhigem Ton fuhr er fort: »Ich brauche Ihre Hilfe.«
Nun brüllte Mayers doch: »Du … was??«
»Hören Sie, zum ersten Mal habe ich eine Möglichkeit, zu erfahren, was derzeit mit mir vorgeht. Eine heiße Spur, würden Sie wahrscheinlich dazu sagen. Ich benötige etwas Zeit, um das Rätsel zu lösen.«
»Zeit?« Mayers traute seinen Ohren nicht.
»Genau. Deshalb wollte ich Sie bitten, nichts davon verlauten zu lassen, dass ich nicht mehr in Ihrer Zelle sitze. Ich muss meine Nachforschungen in Ruhe anstellen und kann mich nicht gleichzeitig vor der Polizei verstecken.«
Wenn Mayers nicht schon sitzen würde, dann wäre er in diesem Moment rücklings in den Stuhl gefallen. »Das ist doch alles nicht dein Ernst.«
»Ich bitte Sie inständig um etwas Zeit, Herr Mayers. Ich werde Sie auch informieren, sobald ich …«
» Hey, Junge!« Mayers zwang sich weiter zur Ruhe, was ihm jedoch weniger gut gelang. »Weißt du eigentlich, dass hier drei Polizisten sitzen, die bereits jetzt schon ihre Karriere für dich riskieren? Kannst du dir vorstellen, was du von uns verlangst? Wir sollen deinen Ausbruch geheim halten, damit du in der Welt herumspazieren …«
»Es war kein Ausbruch«, unterbrach ihn Rouven rasch.
»Was?«
»Ich bin nicht geflüchtet in der vergangenen Nacht. Ich bin … wie soll ich sagen? Auf einmal war ich hier und …« Rouven seufzte. »Verstehen Sie doch: Ich muss hinter all diese Geheimnisse kommen. Und zum ersten Mal habe ich die Gelegenheit dazu. Und ich bin der Einzige, der diese Fragen klären kann.«
Mayers atmete tief aus. Diese Hilflosigkeit und Verzweiflung Rouvens klang echt. Und dass er diesen Anruf gewagt hatte, deutete ebenfalls darauf hin, dass er es ernst meinte. Vorhin waren sie sich alle drei einig gewesen, dass diese Vorgänge nicht normal sein konnten. Und erforderten besondere Situationen nicht besondere Reaktionen? Dies war ganz sicher eine besondere Situation.
In Mayers’ Kopf überschlugen sich die Gedanken. Er mochte den Jungen. Aber reichte das aus, um ihn zu decken?
»Hallo?«, rief Rouven in den Hörer. »Sind Sie noch da, Herr Mayers?«
»Ich wäre lieber woanders«, brummte der mürrisch in sein Handy. Die Wut, die er vor wenigen Sekunden noch verspürt hatte, verebbte. Dieser Rouven schien sie tatsächlich alle beeinflussen zu können. Es war unglaublich. Dieser Kerl hatte allmählich den gesamten Polizeiapparat im Griff.
»Haben Sie eine Entscheidung getroffen?«, hakte Rouven noch einmal nach.
Und zu seiner eigenen Verblüffung und der seiner Kollegen hörte sich Mayers antworten: »Ich gebe dir zwei Tage. Hast du verstanden? Länger können wir dich gar nicht decken. Zwei Tage. Bring deinenKram in Ordnung. Lüfte ein paar Geheimnisse, und dann kommst du her. Verstanden?«
»Danke!«, klang es erleichtert vom anderen Ende.
»Bedank dich nicht zu früh, mein Freund!« Mayers’ Worte klangen weniger drohend, als er es sich gewünscht hätte. »Ich verstehe ja selbst nicht, was in mich gefahren ist, dass ich mich darauf einlasse. Verrate mir nur, ob das etwas mit Hypnose zu tun hat!«
»Was?«
»Wie du die Leute manipulierst«, erklärte Mayers. »Was du mit Bertoli gemacht hast und vielleicht auch gerade mit mir. Hat das mit Hypnose zu tun?«
»Nein«, erklang es wieder ehrlich und überzeugend aus dem Handy. »Das alles gehört zu den Dingen, die ich herausbekommen möchte. Etwas geht mit mir vor, und ich muss wissen, was es ist.«
Mayers seufzte. »Und wir riskieren derweil unsere Hälse. Ich hoffe, du weißt, was du tust!«
»Ich weiß zumindest, womit ich anfangen kann«, antwortete Rouven.
»Dann los, Mensch! Löse deine Rätsel, und dann kommst du zu mir. Mit Antworten. Klar?«
»Versprochen. Ich danke Ihnen wirklich sehr!«
Es klickte kurz in der Leitung, dann vernahm Mayers nur noch den klanglosen Signalton, der ihm versicherte, dass Rouven aufgelegt hatte.
»Seht mich nicht so an«, knurrte er Tallwitz und Bertoli an. »Ich glaube ja selbst nicht, was gerade geschehen ist.«
»Hypnose war es nicht.« Bertoli nutzte die ratlose Situation seines Kollegen
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