Sichelmond
zu intensiv gewesen.
Er war hier an der richtigen Stelle. Da war er sicher. Er konnte nur nicht abschätzen, worauf er wartete, während er hier neben Tabitha saß. Auf dieser Bank.
Mit ihr …
… an seiner Seite …
… hier …
… nicht allein …
Mit einem Mal ahnte er, was möglicherweise falsch lief. Gerade dämmerte es Rouven, dass er besser allein gekommen wäre, als die Erde bebte. Jetzt war es zu spät, um zu reagieren, dachte Rouven noch, als die Kerzen fauchend aufflammten. Die Bewegungen der Wändewurden echt. Das waren keine Täuschungen mehr durch den Lichtschein der Kerzen. Die Kapelle erzitterte tatsächlich. Es rumorte laut.
»Was geht hier vor?«, schrie Tabitha.
Rouven versuchte ihr zu antworten, doch seine Stimme ging in dem Dröhnen unter, das nun den ganzen Raum füllte.
Die Bank, auf der sie saßen, bewegte sich. Sie ruckte und erzitterte.
Die Luft im Inneren der Kapelle begann zu wirbeln, und gleichzeitig flammten die Kerzen weiter auf. Aus jeder kleinen Hülle stach nun eine meterhohe Flamme hervor. Rouven fühlte sich wie in einem Ofen.
»Raus hier!«, schrie er noch, dann wollte er aufspringen, doch es war ihm nicht möglich. Er schien wie gefesselt zu sein. Er konnte sich nicht erheben. Und Tabitha ging es wohl ebenso. Auch sie hatte zu flüchten versucht, doch auch ihr Körper schien an die Bank gedrückt zu werden.
Tabitha krallte sich haltsuchend an Rouven, und in diesem Moment schrie sie kreischend auf. Als hätte eine unsichtbare Hand sie in ihrer Gewalt, wurde Tabitha mit einem Ruck von Rouvens Seite gerissen und zum anderen Ende der Bank geschleift. Rouven schrie nach ihr und streckte seine Hände nach ihr aus, doch noch immer konnte er sich nicht bewegen. Unfähig einzugreifen musste er mit ansehen, wie die völlig verängstigte Tabitha in die Höhe gehoben wurde. Für einen Moment – für einen letzten Blick auf Rouven – verharrte sie schwebend über der Kapellenbank, bevor sie urplötzlich aus der Kapelle flog.
Im gleichen Moment schlug die Eingangstür hinter ihr zu.
»Tabitha«, schrie Rouven entsetzt, doch bloß der Lärm der bebenden Kapelle war zu hören. Von Tabitha klang kein Lebenszeichen an sein Ohr.
M it quietschenden Reifen raste Mayers auf den Parkplatz des Polizeipräsidiums und kam mit einem Ruck in seiner Parkbucht zum Stehen.
Tallwitz und er rissen die Türen auf und stürmten ins Gebäude und die Treppen hinauf.
Bertoli schien in der letzten halben Stunde, seit seinem Anruf bei Mayers, um Jahre gealtert zu sein.
»Ich brauche diesen Job«, brachte er fast wimmernd hervor.
»Wir doch auch«, gab Mayers knapp zurück und stellte sich vor die leere Zelle.
»Das wird ihm nicht gefallen, dem Polizeipräsidenten«, jammerte Bertoli. »Das wird ihm ganz und gar nicht gefallen.«
»Ich nehme das ganz allein auf meine Kappe«, antwortete Mayers. »Ich werde alles erklären und …«
»Erklären?« Tallwitz rüttelte an den Gittern der Zelle. »Wie denn? Wir verstehen doch selbst nicht, wie Rouven hier rauskam und unbemerkt das Gebäude verlassen hat. Oder wo er sich jetzt befindet und was er gerade …«
»Ich unterbreche euch nicht gern«, fuhr Bertoli dazwischen. »Aber sollten wir nicht einen Plan ausdenken? Etwas, das wir sagen können oder …«
»… oder tun können …«, beendete Mayers den Satz und sah Bertoli auf eine ganz merkwürdige Weise an.
»Ist was?«, fragte der und schaute an sich herab, um den Grund für Mayers Blicke zu erfahren. »Hab ich etwas an mir, das …«
»Schau ihn dir an«, sagte Mayers zu Tallwitz. »Fällt dir was auf?«
»Was meinst du?«, fragte Tallwitz interessiert.
»Genau, was meinen Sie?«, fragte auch Bertoli, allerdings mehr verunsichert als interessiert.
Mayers griff nach der Uniformjacke. »Ausziehen!«
Bertoli verstand nicht. »Was?«
Der Kommissar ging nicht weiter darauf ein, sondern wandte sich rasch an Tallwitz: »Er hat eine ganz ähnliche Figur wie Rouven, findest du nicht? Und diese schwarzen Haare …«
Bertoli wurde sichtlich nervöser. »Was bedeutet das alles?«
Mayers wiederholte sich: »Ausziehen.« Doch dann setzte er ein »Bitte« hinterher, und schließlich sagte er noch: »Und schließen Sie die Zelle auf.«
Bertoli machte ein Gesicht, als habe man ihm den Verstand gestohlen. Auch Tallwitz schaute ratlos auf Mayers. »Was hast du vor?«
Mayers wartete noch ab, bis Bertoli die Jacke ausgezogen und die Zellentür aufgeschlossen hatte,
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