Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
Vom Netzwerk:
dem Angesicht abzuwenden. »Was hast du vor?«
    »Abwarten!«, war die knappe Antwort, dann hob der Mann beide Hände und legte sie auf Rouvens Schläfen.
    Rouven schrie auf. Augenblicklich hatte er das Gefühl, sein Gehirn würde verbrennen. Es war ihm, als ob es lichterloh in seinem Kopf brannte.
    Er schrie. Er bäumte sich auf. Doch sein Gegenüber verstärkte den Druck nur noch.
    Rouven blutete aus der Nase. Seine Augen verfärbten sich tiefschwarz. Er begann am ganzen Körper zu zittern. Die Hitze in seinem Kopf durchströmte ihn bis zu den Füßen, und gleichzeitig fühlte er sich, als würde sein Körper von tausenden Nadeln durchbohrt.
    Er schrie noch einmal auf.
    Sein Rivale verstärkte den Druck noch einmal, und eine weitere Hitzewelle durchströmte Rouven. Lange würde er dem nicht mehr standhalten können. Er fühlte, wie ihm die Kräfte schwanden.
    Und er hörte sein Gegenüber rufen: »Mach dich bereit, Rouven. Heute ist der Tag, auf den ich Jahrhunderte gewartet habe!«

S ie stöhnte. Es fiel ihr schwer, aus der Benommenheit zu erwachen. Sie fühlte sich leer an. Ausgehöhlt. Kraftlos. Selbst das Atmen schien ihr zur Qual zu werden. Und so blieb sie erst einmal liegen und versuchte, sich selbst bewusst zu werden.
    Doch mit dem Bewusstsein kam die Erinnerung.
    »Rouven!« Tabitha hauchte den Namen aus. Und endlich kamen ihre Kräfte zurück. Sie schlug die Augen auf und wusste sofort, wo sie lag: auf dem Kiesweg, zwischen den Gräbern. Schwerfällig hob sie den Kopf. Sie befand sich direkt vor der Kapelle. Und es war noch immer mitten in der Nacht. Sie konnte nicht lange hier gelegen haben. Mühsam rappelte sie sich auf.
    »Rouven!« Ihr Ruf war wie ein Peitschenhieb in der sonst stillen Nacht.
    Bilder tauchten vor ihren Augen auf. Sie sah, wie sie durch die Kapelle gewirbelt worden war. Unfähig, etwas dagegen zu tun. Unfähig, sich an Rouven festzuhalten.
    Und sie sah ihn, wie er sie mit entsetztem Blick angesehen hatte, kurz bevor sie aus der Kapelle geschleudert worden war.
    »Rouven!«
    Gegen ihre Erschöpfung ankämpfend sprang sie zur Tür der Kapelle. Sie zog an der Klinke, doch die Tür ließ sich nicht öffnen.
    »Rouven!«
    Sie trommelte mit den Fäusten dagegen. Sie trat sogar gegen die Tür und versuchte es erneut. Doch die Tür blieb verschlossen.
    »Hörst du mich? Rouven!«
    Tabitha legte den Kopf gegen das Holz der Tür und lauschte.
    Nichts. Nicht einen einzigen Laut konnte sie vernehmen. Ihr Herz pochte mehr und mehr.
    »Rouven!«
    Noch einmal schlug sie gegen die Tür. Trat. Stemmte sich dagegen. Zog an der Klinke.
    Bis sie enttäuscht vor der Tür zusammenbrach.
    »Rouven.« Nicht einmal die Kraft, seinen Namen zu rufen, war ihr geblieben. Sie flüsterte. Sie schluchzte: »Rouven   …«
    Die Tränen rannen ihr über das Gesicht. Sie kniete vor der Tür und lehnte den Kopf gegen das kalte Holz. Eine Träne lief ihr über die Nase und tropfte ab. Sie fiel gegen die Tür, und in diesem Moment hörte Tabitha ein Klicken.
    Sie blickte an der Tür hoch. Sie stellte sich langsam wieder auf die Füße und zog an der Klinke. Und sie staunte. Die Tür ließ sich öffnen. Mit beiden Händen drückte Tabitha sie auf.
    Die Kapelle lag still und verlassen da. Gerade so, als sei seit Tagen niemand mehr hier gewesen. Die unzähligen Grabkerzen, die Tabitha vorhin noch hell hatte aufflammen sehen, waren verloschen. Anscheinend lange schon. Eine dünne Staubschicht lag auf all den roten Hüllen, die nebeneinander aufgereiht waren oder auch ineinander steckten. Der Geruch nach Kerzen war nicht einmal mehr zu erahnen.
    Tabitha schaute rasch auf das Fensterbild. Sie ging darauf zu, in der Hoffnung, irgendeine Spur erkennen zu können. Irgendeine Erklärung für das, was hier geschah. Doch ihre Hoffnung wurde enttäuscht. Das Bild sah unverändert aus. Lediglich die Augen der beiden Kämpfenden wirkten lebendiger, dachte Tabitha. Sie hatte beinahe den Eindruck, als schauten der Besiegte am Boden wütender und der Sieger mit Rouvens Gesicht verzweifelter als vorher, aber sie konnte sich auch täuschen.
    »Rouven«, rief Tabitha, doch die einzige Antwort, die sie erhielt, bestand aus dem kurzen Echo, das von den grauen Wänden zurückgeworfen wurde.
    Völlig verzweifelt und niedergeschlagen ließ sich Tabitha auf der vorderen Sitzbank der Kapelle nieder. Gerade dort, wo Rouven gesessen hatte, als sie auseinandergerissen worden waren.
    »Rouven   …« Nun flüsterte sie seinen Namen. Und wieder rannen

Weitere Kostenlose Bücher