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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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ihr Tränen aus den Augen.
    Sie weinte.
    Um ihn.
    Und um sich.
    Und auch um ihre Eltern, von denen sie noch immer nicht wusste, wo sie sich aufhielten oder was mit ihnen geschehen war.
    Sie weinte.
    In der kühlen Kapelle.
    In dieser Nacht, die wohl nicht mehr enden wollte.

K önnen Sie uns denn sagen, worum es geht?« Die Frau wippte nervös auf der Stelle auf und ab. Sie war es nicht gewöhnt, mit Polizisten zu sprechen. Und sie mochte es auch nicht.
    Mayers schüttelte den Kopf. »Dazu kann und darf ich Ihnen nichts sagen. Wir sind einfach auf der Suche nach diesem Rouven, und Sie scheinen ihn ja doch zu kennen.«
    Die Frau zuckte sichtbar zusammen. Gerade so, als habe sie Angst, nun unter Verdacht zu stehen.
    »Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll«, wand sie sich und trommelte ratlos mit den Fingerkuppen auf dem Ausgabetisch der Tafel.
    Tallwitz zückte einen Block. Ihm tat die Frau richtig leid, wie sie so vor ihm stand, in all ihrer Aufregung. »Fangen wir doch einfach mal mit Ihrem Namen an«, schlug er vor. Und tatsächlich schien es eine Hilfe zu sein für die Frau.
    »Anne König«, gab sie zur Antwort und deutete mit dem Kopf auf das Namensschildchen, das an ihrer Arbeitsbluse prangte. Gleichzeitig hörte das Trommeln auf dem Tisch auf.
    »Und seit wann helfen Sie hier aus?«, forschte Tallwitz weiter nach.
    »Ich komme seit zwei Jahren regelmäßig hierher. Immer mittwochs und donnerstags. Wissen Sie   …« Sie blickte unter sich. »Es gab eine Zeit, da kam ich ebenfalls regelmäßig hierher, doch dann stand ich auf der anderen Seite des Tisches.«
    Tallwitz nickte. »Ich verstehe.«
    »Und nun ist mein Einsatz eine Art, all das wiedergutzumachen, was ich einst an Hilfe bekommen habe.«
    »Auch das kann ich gut verstehen.«
    Mayers verlor ein wenig die Geduld. Das Gespräch zwischen Tallwitz und Anne König kam ihm zu langsam voran. Deshalb fuhr er dazwischen: »Und seit wann kennen Sie diesen Rouven?«
    Anne König drehte sich von Tallwitz zu Mayers und machte keinen Hehl daraus, dass sie es schade fand, nun mit dem Beamten sprechen zu müssen, den sie von den beiden ganz offensichtlich nicht leiden konnte.
    »Ein paar Monate etwa«, gab sie zur Antwort. »Er kommt regelmäßig hierher.«
    Mayers schaute aus dem großen Schaufenster hinaus und über die Straße zu dem Lebensmittelgeschäft, in dessen Eingang der hagere Ladenbesitzer neugierig alles zu verfolgen versuchte.
    »Ich weiß«, sagte Mayers. »Das hat man uns bereits berichtet.«
    Die Frau zog die Schultern in die Höhe. »Was hat er denn ausgefressen? Rouven meine ich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er irgendetwas angestellt haben soll, dass Sie ihn verhaften und erneut suchen. Er ist ein wirklich netter Junge. Jeder hier mochte ihn. Er ist hilfsbereit und freundlich. Ja, mehr als das. Oft hat er mich hier schon vertreten, wenn ich selbst etwas zu besorgen hatte. Und er hat sich um die Leute gekümmert. Vor allem das. Und gerade die Älteren wussten das zu schätzen. Er hat sie zum Lachen gebracht. Mit ihnen gesprochen. Manchmal in verschiedenen Sprachen. Wussten Sie das? Er spricht offenbar einige Sprachen perfekt   …«
    Mayers winkte ab. »Ja, das wussten wir. Danke für die Seligsprechung. Können wir jetzt noch einmal ernst werden?«
    Die Frau war außer sich. »Glauben Sie, ich lüge? Denken Sie, ich übertreibe? Sie können jeden hier fragen. Rouven ist ein überaus gern gesehener Gast in diesem Haus und   …«
    »Wissen Sie, wo er wohnt?«, unterbrach Mayers, dessen Geduld allmählich den Nullpunkt erreichte.
    »Nein!« Anne König wandte sich ab. Selbst wenn sie es gewusst hätte, diesem unhöflichen Menschen hätte sie es nicht verraten.
    Mayers seufzte und blickte enttäuscht zu Tallwitz. Doch bevor er etwas sagen konnte, sprach ein älterer Mann sie an: »Aber ich kann Ihnen helfen.«
    Mayers wandte sich um. Auf den ersten Blick war er überrascht, eine solche Erscheinung an diesem Ort vorzufinden. Der Mann, der ihm gegenüberstand, steckte in einem dunkelgrauen Maßanzug, mit sorgfältig abgestimmtem Hemd und einer schwarzen Krawatte dazu. An seinem Kragen steckte ein goldfarbener Sticker, der einen schreienden Hahn zeigte. Mayers schätzte, dass dieses Schmuckstück ein Vermögen wert sein musste. Den Mann selbst schätzte Mayers auf knappe siebzig Jahre. Seine goldumrandete Brille trug er in seiner linken Hand. Das helle Haar war ordentlich zurückgekämmt, Wangen und Kinn säuberlich rasiert.
    Doch

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