Sicherheitsfaktor III
freundschaftlichen Worten. Dann schickte ich mich an, von Wang Tse Liaos Heim Besitz zu ergreifen.
9.
Der Rest des Abends verging ereignislos. Ich verließ die Wohnung nicht mehr. Ich nutzte die Zeit, um die Kenntnisse zu rekapitulieren, die man mir von Wang Tse Liaos Tätigkeit vermittelt hatte. In seiner Rolle hatte ich eine schwierigere Aufgabe zu bewältigen als vor wenigen Tagen in Rom. MADE war, besonders in der Führungsspitze, ein Gremium von würdevollen Akademikern. Der großasiatische Geheimdienst jedoch bestand ausschließlich aus Aktivisten, die mit nahezu religiösem Eifer ihren Pflichten nachgingen.
Am nächsten Morgen um sieben Uhr bestieg ich den Gemeinschaftsbus, der die Bewohner des Mietshauses zu ihren Arbeitsplätzen brachte. Knapp dreißig Minuten später saß ich hinter meinem Schreibtisch, der mit den üblichen Kommunikationsgeräten ausgestattet und von einer dreigeteilten spanischen Wand umgeben war. Von allzuviel Abgeschlossenheit bei der Arbeit hielten die Asiaten nämlich nichts: Der Raum, in dem mein Schreibtisch stand, war mehr eine Halle und enthielt außer der meinen wenigstens noch zweihundert andere Arbeitsstätten. Es war merkwürdig: So, wie draußen die verrußten Gebäude an die amerikanischen Städte der sechziger und siebziger Jahre erinnerten, so war man auch in der Gestaltung des Arbeitsplatzes noch rund fünfzig Jahre hinter dem Westen zurück. Dieser Bürosaal erinnerte überdeutlich an die Massenbüros der amerikanischen Industrie in der Apollo-Ära.
Immerhin boten die spanischen Wände mir genügend Schutz, so daß ich für ein paar Minuten die Augen schließen und mich mit den Gedanken der Menschen beschäftigen konnte, die in meiner Nähe arbeiteten. Ich ertastete einen verworrenen Wust hektischer Aktivität. Die Leute waren mit dem Eifer des jungen Morgens an die Arbeit gegangen. Ihre Gedanken drehten sich nicht so sehr um die Lösung von Problemen als um die Sollerfüllung. Nirgendwo erhaschte ich einen Mentalimpuls, der mit der Entführung der Torpentouf-Drillinge zu tun hatte. Hier in diesem Saal wußte man nichts davon. Ich streckte meine Fühler ein wenig weiter aus und begann nach Fo-Tieng zu suchen. Gewisse Charakteristiken seiner Mentalstruktur waren mir vertraut, so zum Beispiel die Eigenheit, daß Fo-Tiengs Bewußtsein Gedanken nicht in stetem, kontinuierlichem Fluß erzeugte, sondern ruckweise Gedankensalven, mit Pausen von unterschiedlicher Länge dazwischen.
Noch während meiner Suche erinnerte ich mich an Hannibals Worte, wonach der echte Wang Tse Liao nicht wußte, wo Fo-Tieng sich gegenwärtig aufhielt. Gegenwärtig – das war gestern gewesen. Es brauchte nicht unbedingt zu bedeuten, daß Fo-Tieng längere Zeit abwesend war. Ich setzte meine Suche fort. Da wurde ich plötzlich abgelenkt. Von der Seite her hatte sich eine Serie deutlicher, gefahrdrohender Denkimpulse in mein mentales Blickfeld geschlichen. Ich untersuchte sie und erschrak, als ich in einem der Gedankenkomplexe Wang Tse Liaos Bild auftauchen sah. Der Zusammenhang blieb mir weiterhin verborgen. Aber es gab keinen Zweifel daran, daß es irgendwo in der Nähe jemand gab, der auf meinen Doppelgänger zornig war – offenbar, weil er sich einer seiner Pflichten nicht in der gewünschten Weise entledigt hatte. Ich mußte die Beobachtung unterbrechen. Die Gefahr kam unmittelbar auf mich zu. Der Mann, der sich über Wang Tse Liaos Pflichtvergessenheit aufregte, näherte sich meinem Schreibtisch.
Ich wandte mich um, derjenigen Seite meines Arbeitsplatzes zu, die nicht durch eine spanische
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