Sicherheitsfaktor III
Kiny?« erkundigte ich mich besorgt.
Ihre Antwort kam erst nach ein paar Sekunden. Sie klang ein wenig enttäuscht.
»Ach, nichts. Seine Majestät hat mir eben klargemacht, daß ich mich in Wirklichkeit über gar nichts zu beklagen habe.« Plötzlich klang sie empört. »So was! Als ob er meine Gedanken lesen könne!«
»Seine Majestät? Wer ist das?«
»Reling. Wer sonst?«
Ich fing an zu lachen. Hannibal in Hengtaohotzu, Kiny über der Japan-See und Reling bei ihr – was konnte mir da noch zustoßen? Ich verabschiedete mich von Kiny und wollte die Unterhaltung mit Hannibal fortsetzen, da hörte ich, wie sich die Tür zu öffnen begann. Sofort ließ ich den Mentalblock sinken und starrte schläfrig in Richtung des Geräusches.
Die Tür öffnete sich. Ein kleiner breitschultriger Asiate mit kurz geschnittenem, blauschwarzem Haar und einem freundlichen Lächeln trat ein.
»Peng-you Liao!« rief er mir zu, als er sah, daß ich die Augen offen hatte. »Ich sehe mit Freuden, daß es dir gut geht!«
Ein Gesicht tauchte vor meinem geistigen Auge auf. Ich kannte es seit jener achtundvierzigstündigen Tortur, die ich im Hauptquartier durchgemacht hatte. Das war Doktor Chen, Chen Yifan, ein enger Freund von Wang Tse Liao. Er war einer der bedeutendsten Ärzte im Dienste der großasiatischen Abwehr. Ich brauchte das freudige Erkennen nicht zu heucheln: Es fiel mir wie ein Stein von der Seele, daß ich das Erinnerungsbild aus jenen fürchterlichen zwei Tagen der Intensivschulung rechtzeitig hatte heraufbeschwören können.
»Peng-you Yifan!« antwortete ich mit soviel Begeisterung, wie man sie von einem Geschwächten erwarten konnte. »Was wolltet ihr hier mit mir anstellen?«
»Nichts weiter«, antwortete er und baute seine kleine und dennoch wichtige Gestalt vor dem Bett auf. »Du bist völlig in Ordnung. Das Meerwasser hat dir nicht geschadet, und deine Beulen haben wir mit Salben behandelt, so daß sie fast schon nicht mehr zu sehen sind.«
Ich richtete mich auf.
»Dann kann ich gehen?«
»Sofort, mein Freund, wenn du willst.«
Und ob ich wollte! Solange ich mich in den Händen der Ärzte befand, war ich meiner Sache nicht sicher. Ich war zwar nicht hypnotisierbar, aber wer weiß, über welche Drogen diese Leute verfügten, mit deren Hilfe sie die Wahrheit aus mir herausquetschen konnten, wenn sie erst einmal Verdacht geschöpft hatten.
»Gut«, antwortete ich, »ich will sofort.«
Chen Yifan wollte mir beim Aufstehen behilflich sein, aber ich wies ihn zurück.
»Du sagst, ich sei völlig in Ordnung«, lachte ich, »also brauche ich auch keine Hilfe.«
Die Formalitäten waren bereits erledigt. Ich setzte meine Unterschrift unter das Entlassungsdokument. Inzwischen hatte Chen Yifan einen Wagen bestellt, der die Aufgabe hatte, mich nach Hause zu bringen. Draußen war es noch hell. Ich hatte Mutanchiang bislang nur auf einer Reihe allerdings hervorragender 3D-Filmaufnahmen zu sehen bekommen. Die Wirklichkeit bestätigte die Trostlosigkeit der Bilder: Mutanchiang war ein Relikt aus der Ära der industriellen Revolution unter dem legendären Mao Tse Tung. Fabrikanlagen überall, verrußte Schlote, schmutzige kleine Häuser und noch schmutzigere, kastenförmige Appartementgebäude, ein Freilichtmuseum, der Greuel des späten zwanzigsten Jahrhunderts!
Wang Tse Liao wohnte in einem fünfstöckigen Mietshaus. Die anderen Wohnungen waren ebenfalls von Mitgliedern des Sicherheitsdienstes belegt. Meine zweite Probe begann, sobald ich das Gebäude betrat. Ich war voller Zuversicht. Wenn Chen Yifan keinen Verdacht geschöpft hatte, dann mußte ich auch vor anderer Leute Augen bestehen. Ich entlohnte den Fahrer des Wagens mit ein paar
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