Sicherheitsfaktor III
Wand gedeckt war. Da sah ich ihn kommen: Einen kleinen, drahtigen Mann, einen Chinesen aus den inneren Provinzen, von unbestimmbarem Alter, die Augen hinter einer dicklinsigen Brille mit schwerem, altmodischem Horngestell verborgen. Ich konnte nicht verhindern, daß mein Herz ein paar Schläge mehr tat als sonst. Der da auf mich zukam, bis aufs äußerste erzürnt über meine Nachlässigkeit, deren ich mich gar nicht schuldig fühlte, war der zweite Mann des großasiatischen Sicherheitsdienstes: Huang Ho-Feng, Fo-Tiengs Stellvertreter.
Er baute sich vor mir auf, und hinter den dicken Gläsern der Brille blitzte in seinen Augen die Wut.
»Genosse Wang!« fuhr er mich an. »Wie es mir scheint, hast du über Nacht die wichtigste aller Tugenden des Staatsbürgers verloren: das Pflichtbewußtsein.«
Mir war vor Schreck der Hals wie zugeschnürt. Da war ich anscheinend wirklich irgendwo voll ins Fettnäpfchen getreten. Wenn ich nur gewußt hätte wo! Ich riß mich zusammen, zwang mich mit Gewalt zu kühlem Überlegen. Da half nur eines: Ich mußte mich auf die Folgen des Absturzes berufen.
Unsicher – aber das war gewollt! – kam ich auf die Beine.
»Ich … ich weiß leider nicht … Genosse Huang …«
Dann fuhr ich mir mit der Hand zum Kopf.
»… der Absturz gestern … vielleicht …«
»Ja, eben!« höhnte Huang Ho-Feng. »Vielleicht hast du dir den Kopf doch ein wenig härter aufgeschlagen, als die Ärzte meinen, Genosse. Wie anders läßt es sich erklären, daß du unsere Verabredung versäumst? Der Kampf gegen die nationalistischen Rebellen duldet keinen Aufschub, keine Verzögerung, keine Verschnaufpause. Ich warte auf deinen Bericht, Genosse Wang!«
Er wandte sich um und stapfte davon, ein Mann, der einmal mehr gezeigt hatte, daß er der Herr war. Mir aber fiel ein Stein vom Herzen. Ich wußte zwar noch immer nicht, welcher Art die Verabredung war, die Wang Tse Liao mit Huang Ho-Feng getrof fen hatte. Aber daß er einen Bericht über die Aktivität der natio nalistischen Rebellen erwartete, das hatte er mir überdeutlich klargemacht.
»Es ist uns gelungen«, versicherte ich mit Nachdruck, der der Wichtigkeit der Sache angemessen war, »das Oberhaupt der nationalistischen Rebellenvereinigung zu identifizieren.«
Huang Ho-Feng hob den Kopf mit einem Ruck und konnte trotz seiner asiatischen Gelassenheit einen Ausdruck starker Überraschung nicht verbergen.
»Das ist mir völlig neu, Genosse Wang«, stieß er hervor. »Wann ist uns das gelungen?«
»Gestern, Genosse Huang«, antwortete ich. »Meine Fahrt nach Hsinchin diente diesem Zweck.«
»Hsinchin? Was wollen die Rebellen in Hsinchin?«
»Mein Gewährsmann sitzt in Hsinchin, Genosse Huang«, erklärte ich vorsichtig. »Es handelt sich um einen Amerikaner, dem die Regierung die Erlaubnis erteilt hat, sich dort als Vertreter eines westlichen Handelsunternehmens niederzulassen. Er reist viel. Bevor er nach Hsinchin kam, war er in den südöstlichen Grenzprovinzen der Sowjetunion tätig.«
Huang Ho-Fengs Überraschung dauerte an. Ohne Zweifel war sie mit Mißtrauen gemischt. Den amerikanischen Vertreter in Hsinchin gab es natürlich. Er war einer unserer Leute. Aber die Information bezüglich der Nationalisten war aus ganz anderer Quelle gekommen. Die Geheime-Wissenschaftliche-Abwehr hat te ihr eigenes Interesse an der Aktivität der mongolischen Rebellen im Grenzgebiet der Sowjetunion. An der Grenze zwischen Mongolei und den südöstlichen russischen Provinzen waren zahlreiche GWA-Spezialisten im Einsatz. Die Neuigkeit, die ich Huang Ho-Feng hier präsentierte, wäre dem Großasiatischen Geheimdienst sicherlich noch mehrere Wochen lang verborgen geblieben. Man
Weitere Kostenlose Bücher