Siddharta
Glücksspiel, floh in Be-täubungen der Wollust, des Weines, und von da zurück in den
Trieb des Haufens und Erwerbens. In diesem sinnlosen
Kreislauf lief er sich müde, lief er sich alt, lief sich krank.
Da mahnte ihn einst ein Traum. Er war die Abendstunden
bei Kamala gewesen, in ihrem schönen Lustgarten. Sie waren
unter den Bäumen gesessen, im Gespräch, und Kamala hatte
nachdenkliche Worte gesagt, Worte, hinter welchen sich eine
Trauer und Müdigkeit verbarg. Von Gotama hatte sie ihn ge-
beten zu erzählen, und konnte nicht genug von ihm hören, wie
rein sein Auge, wie still und schön sein Mund, wie gütig sein
Lächeln, wie friedevoll sein Gang gewesen. Lange hatte er ihr
vom erhabenen Buddha erzählen müssen, und Kamala hatte
geseufzt, und hatte gesagt: »Einst, vielleicht bald, werde auch ich diesem Buddha folgen. Ich werde ihm meinen Lustgarten
schenken, und werde meine Zuflucht zu seiner Lehre
nehmen.« Darauf aber hatte sie ihn gereizt und ihn im
Liebesspiel mit schmerzlicher Inbrunst an sich gefesselt, unter Bissen und unter Tränen, als wolle sie noch einmal aus dieser
eiteln, vergänglichen Lust den letzten süßen Tropfen
pressen. Nie war es Siddhartha so seltsam klargeworden, wie
nahe die Wollust dem Tode verwandt ist. Dann war er an ihrer
Seite gelegen, und Kamalas Antlitz war ihm nahe gewesen,
und unter ihren Augen und neben ihren Mundwinkeln hatte er
deutlich wie noch niemals eine bange Schrift gelesen, eine
Schrift von feinen Linien, von leisen Furchen, eine Schrift,
die an den Herbst und an das Alter erinnerte, wie denn auch
Siddhartha selbst, der erst in den Vierzigen stand, schon hier
und dort ergraute Haare zwischen seinen schwarzen bemerkt
hatte. Müdigkeit stand auf Kamalas schönem Gesicht
geschrieben, Müdigkeit vom Gehen eines langen Weges, der
kein frohes Ziel hat, Müdigkeit und beginnende Welke, und
verheimlichte, noch nicht gesagte, vielleicht noch nicht
einmal gewußte Bangigkeit: Furcht vor dem Alter, Furcht vor
dem Herbste, Furcht vor dem Sterbenmüssen. Seufzend hatte
er von ihr Abschied genommen, die Seele voll Unlust und voll
verheimlichter Bangigkeit.
Dann hatte Siddhartha die Nacht in seinem Hause mit
Tänzerinnen beim Weine zugebracht, hatte gegen seine Stan-
desgenossen den Überlegenen gespielt, welcher er nicht mehr
war, hatte viel Wein getrunken und spät nach Mitternacht sein
Lager aufgesucht, müde und dennoch erregt, dem Weinen und
der Verzweiflung nahe, und hatte lang vergeblich den Schlaf
gesucht, das Herz voll eines Elendes, das er nicht mehr
ertragen zu können meinte, voll eines Ekels, von dem er sich
durchdrungen fühlte wie vom lauen, widerlichen Geschmack
des Weines, der allzu süßen, öden Musik, dem allzu weichen
Lächeln der Tänzerinnen, dem allzu süßen Duft ihrer Haare
und Brüste. Mehr aber als vor allem anderen ekelte ihm vor
sich selbst, vor seinen duftenden Haaren, vor dem
Weingeruch seines Mundes, vor der schlaffen Müdigkeit und
Unlust seiner Haut. Wie wenn einer, der allzuviel gegessen
oder getrunken hat, es unter Qualen wieder erbricht und doch
der Erleichterung froh ist, so wünschte sich der Schlaflose, in einem ungeheuren Schwall von Ekel sich dieser Genüsse,
dieser Gewohnheiten, dieses ganzen sinnlo-
sen Lebens und seiner selbst zu entledigen. Erst beim Schein
des Morgens und dem Erwachen der ersten Geschäftigkeit
auf der Straße vor seinem Stadthause war er eingeschlum-
mert, hatte für wenige Augenblicke eine halbe Betäubung,
eine Ahnung von Schlaf gefunden. In diesen Augenblicken
hatte er einen Traum:
Kamala besaß in einem goldenen Käfig einen kleinen seltenen
Singvogel. Von diesem Vogel träumte er. Er träumte: dieser
Vogel war stumm geworden, der sonst stets in der
Morgenstunde sang, und da dies ihm auffiel, trat er vor den
Käfig und blickte hinein, da war der kleine Vogel tot und lag
steif am Boden. Er nahm ihn heraus, wog ihn einen Augen-
blick in der Hand und warf ihn dann weg, auf die Gasse hinaus,
und im gleichen Augenblick erschrak er furchtbar, und das
Herz tat ihm weh, so, als habe er mit diesem toten Vogel allen
Wert und alles Gute von sich geworfen.
Aus diesem Traum auffahrend, fühlte er sich von tiefer
Traurigkeit umfangen. Wertlos, so schien ihm, wertlos und
sinnlos hatte er sein Leben dahingeführt; nichts Lebendiges,
nichts irgendwie Köstliches oder Behaltenswertes war ihm in
Händen geblieben. Allein stand er und leer, wie ein
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