Siddharta
bange, aber süße Glück ihrer
ewigen Verliebtheit. In sich selbst, in Frauen, in ihre Kinder, in Ehre oder Geld, in Pläne oder Hoffnungen verliebt waren
diese Menschen immerzu. Er aber lernte dies nicht von ihnen,
gerade dies nicht, diese Kinderfreude und Kindertorheit; er
lernte von ihnen gerade das Unangenehme, was er selbst
verachtete. Es geschah immer öfter, daß er am Morgen nach
einem geselligen Abend lange liegenblieb und sich dumm und
müde fühlte. Es geschah, daß er ärgerlich und ungeduldig
wurde, wenn Kamaswami ihn mit seinen Sorgen langweilte.
Es geschah, daß er allzu laut lachte, wenn er im Würfelspiel
verlor. Sein Gesicht war noch immer klüger und geistiger als
andre, aber es lachte selten, und nahm einen um den ändern
jene Züge an, die man im Gesicht reicher Leute so häufig findet, jene Züge der Unzufriedenheit, der Kränklichkeit, des
Mißmutes, der Trägheit, der Lieblosigkeit. Langsam ergriff ihn
die Seelenkrankheit der Reichen.
Wie ein Schleier, wie ein dünner Nebel senkte sich Müdigkeit
über Siddhartha, langsam, jeden Tag ein wenig dichter, jeden
Monat ein wenig trüber, jedes Jahr ein wenig schwerer. Wie ein
neues Kleid mit der Zeit alt wird, mit der Zeit seine schöne
Farbe verliert, Flecken bekommt, Falten bekommt, an den
Säumen abgestoßen wird und hier und dort blöde, fä-
dige Stellen zu zeigen beginnt, so war Siddharthas neues Le-
ben, das er nach seiner Trennung von Govinda begonnen
hatte, alt geworden, so verlor es mit den hinrinnenden Jahren
Farbe und Glanz, so sammelten sich Falten und Flecken auf
ihm, und im Grunde verborgen, hier und dort schon häßlich
hervorblickend, wartete Enttäuschung und Ekel. Siddhartha
merkte es nicht. Er merkte nur, daß jene helle und sichere
Stimme seines Innern, die einst in ihm erwacht war und ihn in
seinen glänzenden Zeiten je und je geleitet hatte, schweigsam
geworden war.
Die Welt hatte ihn eingefangen, die Lust, die Begehrlich-
keit, die Trägheit, und zuletzt auch noch jenes Laster, das er
als das törichteste stets am meisten verachtet und gehöhnt
hatte: die Habgier. Auch das Eigentum, der Besitz und
Reichtum hatte ihn schließlich eingefangen, war ihm kein
Spiel und Tand mehr, war Kette und Last geworden. Auf
einem seltsamen und listigen Wege war Siddhartha in diese
letzte und schnödeste Abhängigkeit geraten, durch das Wür-
felspiel. Seit der Zeit nämlich, da er im Herzen aufgehört
hatte, ein Samana zu sein, begann Siddhartha das Spiel um
Geld und Kostbarkeiten, das er sonst lächelnd und lässig als
eine Sitte der Kindermenschen mitgemacht hatte, mit einer
zunehmenden Wut und Leidenschaft zu treiben. Er war ein
gefürchteter Spieler, wenige wagten es mit ihm, so hoch und
frech waren seine Einsätze. Er trieb das Spiel aus der Not seines Herzens, das Verspielen und Verschleudern des elenden
Geldes schuf ihm eine zornige Freude, auf keine andere Weise
konnte er seine Verachtung des Reichtums, des Götzen der
Kaufleute, deutlicher und höhnischer zeigen. So spielte er
hoch und schonungslos, sich selbst hassend, sich selbst ver-
höhnend, strich Tausende ein, warf Tausende weg, verspielte
Geld, verspielte Schmuck, verspielte ein Landhaus, gewann
wieder, verspielte wieder. Jene Angst, jene furchtbare und
beklemmende Angst, welche er während des Würfelns,
während des Bangens um hohe Einsätze empfand, jene Angst
liebte er und suchte sie immer zu erneuern, immer zu
steigern, immer höher zu kitzeln, denn in diesem Gefühl allein
noch fühlte er etwas wie Glück, etwas wie Rausch, etwas wie
erhöhtes Leben inmitten seines gesättigten, lauen, faden
Lebens. Und nach jedem großen Verluste sann er auf neuen
Reichtum, ging eifriger dem Handel nach, zwang strenger
seine Schuldner zum Zahlen, denn er wollte weiter spielen, er
wollte weiter vergeuden, weiter dem Reichtum seine Ver-
achtung zeigen. Siddhartha verlor die Gelassenheit bei Verlu-
sten, er verlor die Geduld gegen säumige Zahler, verlor die
Gutmütigkeit gegen Bettler, verlor die Lust am Verschenken
und Wegleihen des Geldes an Bittende. Er, der zehntausend
auf einen Wurf verspielte und dazu lachte, wurde im Handel
strenger und kleinlicher, träumte nachts zuweilen von Geld!
Und so oft er aus dieser häßlichen Bezauberung erwachte, so
oft er sein Gesicht im Spiegel an der Schlafzimmerwand gealtert und häßlicher geworden sah, so oft Scham und Ekel ihn
überfiel, floh er weiter, floh in neues
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