Siddharta
»Lebe
wohl.«
»Lebe wohl, Govinda«, sagte Siddhartha.
Der Mönch blieb stehen.
»Erlaube, Herr, woher kennst du meinen Namen?«
Da lächelte Siddhartha.
»Ich kenne dich, o Govinda, aus der Hütte deines Vaters,
und aus der Brahmanenschule, und von den Opfern, und von
unsrem Gang zu den Samanas, und von jener Stunde, da du
im Hain Jetavana deine Zuflucht zum Erhabenen nähmest.«
»Du bist Siddhartha!« rief Govinda laut. »Jetzt erkenne ich
dich, und begreife nicht mehr, wie ich dich nicht sogleich er-
kennen konnte. Sei willkommen, Siddhartha, groß ist meine
Freude, dich wiederzusehen.«
»Auch mich erfreut es, dich wiederzusehen. Du bist der
Wächter meines Schlafes gewesen, nochmals danke ich dir
dafür, obwohl ich keines Wächters bedurft hätte. Wohin
gehst du, o Freund?«
»Nirgendhin gehe ich. Immer sind wir Mönche unterwegs,
solange nicht Regenzeit ist, immer ziehen wir von Ort zu Ort,
leben nach der Regel, verkündigen die Lehre, nehmen
Almosen, ziehen weiter. Immer ist es so. Du aber, Siddhartha,
wo gehst du hin?«
Sprach Siddhartha: »Auch mit mir steht es so, Freund, wie
mit dir. Ich gehe nirgendhin. Ich bin nur unterwegs. Ich pil-
gere.«
Govinda sprach: »Du sagst, du pilgerst, und ich glaube dir.
Doch verzeih, o Siddhartha, nicht wie ein Pilger siehst du aus.
Du trägst das Kleid eines Reichen, du trägst die Schuhe eines
Vornehmen, und dein Haar, das nach wohlriechendem Wasser
duftet, ist nicht das Haar eines Pilgers, nicht das Haar eines
Samanas.«
»Wohl, Lieber, gut hast du beobachtet, alles sieht dein
scharfes Auge. Doch habe ich nicht zu dir gesagt, daß ich ein
Samana sei. Ich sagte: ich pilgere. Und so ist es: ich pilgere.«
»Du pilgerst«, sagte Govinda. »Aber wenige pilgern in
solchem Kleide, wenige in solchen Schuhen, wenige mit sol-
chen Haaren. Nie habe ich, der ich schon viele Jahre pilgere,
solch einen Pilger angetroffen.«
»Ich glaube es dir, mein Govinda. Aber nun, heute, hast du
eben einen solchen Pilger angetroffen, in solchen Schuhen,
mit solchem Gewände. Erinnere dich, Lieber: vergänglich ist
die Welt der Gestaltungen, vergänglich, höchst vergänglich
sind unsere Gewänder, und die Tracht unserer Haare, und
unsere Haare und Körper selbst. Ich trage die Kleider eines
Reichen, da hast du recht gesehen. Ich trage sie, denn ich bin
ein Reicher gewesen, und trage das Haar wie die Weltleute
und Lüstlinge, denn einer von ihnen bin ich gewesen.«
»Und jetzt, Siddhartha, was bist du jetzt?«
»Ich weiß es nicht, ich weiß es so wenig wie du. Ich bin un-
terwegs. Ich war ein Reicher, und bin es nicht mehr; und was
ich morgen sein werde, weiß ich nicht.«
»Du hast deinen Reichtum verloren?«
»Ich habe ihn verloren, oder er mich. Er ist mir abhanden
gekommen. Schnell dreht sich das Rad der Gestaltungen,
Govinda. Wo ist der Brahmane Siddhartha? Wo ist der Sa-
mana Siddhartha? Wo ist der Reiche Siddhartha? Schnell
wechselt das Vergängliche, Govinda, du weißt es.«
Govinda blickte den Freund seiner Jugend lange an, Zweifel
im Auge. Darauf grüßte er ihn, wie man Vornehme grüßt, und
ging seines Weges.
Mit lächelndem Gesicht schaute Siddhartha ihm nach, er
liebte ihn noch immer, diesen Treuen, diesen Ängstlichen.
Und wie hätte er, in diesem Augenblick, in dieser herrlichen
Stunde nach seinem wunderbaren Schlafe, durchdrungen von
Om, irgend jemand und irgend etwas nicht lieben sollen! Eben
darin bestand die Verzauberung, welche im Schlafe und durch
das Om in ihm geschehen war, daß er alles liebte, daß er voll
froher Liebe war zu allem, was er sah. Und eben daran, so
schien es ihmjetzt, war er vorher so sehr krank gewesen, daß
er nichts und niemand hatte lieben können.
Mit lächelndem Gesichte schaute Siddhartha dem hin weg-
gehenden Mönche nach. Der Schlaf hatte ihn sehr gestärkt,
sehr aber quälte ihn der Hunger, denn er hatte nun zwei Tage
nichts gegessen, und lange war die Zeit vorüber, da er hart
gegen den Hunger gewesen war. Mit Kummer, und doch auch
mit Lachen, gedachte er jener Zeit. Damals, so erinnerte er sich, hatte er sich vor Kamala dreier Dinge gerühmt, hatte drei edle
und unüberwindliche Künste gekonnt: Fasten -Warten -
Denken. Dies war sein Besitz gewesen, seine Macht und Kraft,
sein fester Stab, in den fleißigen, mühseligen Jahren seiner
Jugend hatte er diese drei Künste gelernt, nichts anderes. Und
nun hatten sie ihn verlassen, keine von ihnen war mehr
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