Siddharta
vergiftet,
gepeinigt, habe mich alt und böse gemacht! Nein, nie mehr
werde ich, wie ich es einst so gerne tat, mir einbilden, daß
Siddhartha weise sei! Dies aber habe ich gut gemacht, dies
gefällt mir, dies muß ich loben, daß es nun ein Ende hat mit
jenem Haß gegen mich selber, mit jenem törichten und öden
Leben! Ich lobe dich, Siddhartha, nach so viel Jahren der
Torheit hast du wieder einmal einen Einfall gehabt, hast etwas
getan, hast den Vogel in deiner Brust singen hören und bist
ihm gefolgt!
So lobte er sich, hatte Freude an sich, hörte neugierig sei-
nem Magen zu, der vor Hunger knurrte. Ein Stück Leid, ein
Stück Elend hatte er nun, so fühlte er, in diesen letzten Zeiten und Tagen ganz und gar durchgekostet und ausgespien, bis
zur Verzweiflung und bis zum Tode ausgefressen. So war es
gut. Lange noch hätte er bei Kamaswami bleiben können,
Geld erwerben, Geld vergeuden, seinen Bauch mästen und
seine Seele verdursten lassen, lange noch hätte er in dieser
sanften, wohlgepolsterten Hölle wohnen können, wäre dies
nicht gekommen: der Augenblick der vollkommenen
Trostlosigkeit und Verzweiflung, jener äußerste Augenblick,
da er über dem strömenden Wasser hing und bereit war, sich
zu vernichten. Daß er diese Verzweiflung, diesen tiefsten
Ekel gefühlt hatte, und daß er ihm nicht erlegen war, daß der
Vogel, die frohe Quelle und Stimme in ihm doch noch
lebendig war, darüber fühlte er diese Freude, darüber lachte er, darüber strahlte sein Gesicht unter den ergrauten Haaren.
»Es ist gut«, dachte er, »alles selber zu kosten, was man zu
wissen nötig hat. Daß Weltlust und Reichtum nicht vom
Guten sind, habe ich schon als Kind gelernt. Gewußt habe ich
es lange, erlebt habe ich es erst jetzt. Und nun weiß ich es,
weiß es nicht nur mit dem Gedächtnis, sondern mit meinen
Augen, mit meinem Herzen, mit meinem Magen. Wohl mir,
daß ich es weiß!«
Lange sann er nach über seine Verwandlung, lauschte dem
Vogel, wie er vor Freude sang. War nicht dieser Vogel in ihm
gestorben, hatte er nicht seinen Tod gefühlt? Nein, etwas
anderes in ihm war gestorben, etwas, das schon lange sich
nach Sterben gesehnt hatte. War es nicht das, was er einst in
seinen glühenden Büßerjahren hatte abtöten wollen? War es
nicht sein Ich, sein kleines, banges und stolzes Ich, mit dem
er so viele Jahre gekämpft hatte, das ihn immer wieder
besiegt hatte, das nach jeder Abtötung wieder da war, Freude
verbot, Furcht empfand? War es nicht dies, was heute endlich
seinen Tod gefunden hatte, hier im Walde an diesem
lieblichen Flusse? War es nicht dieses Todes wegen,
daß er jetzt wie ein Kind war, so voll Vertrauen, so ohne
Furcht, so voll Freude?
Nun auch ahnte Siddhartha, warum er als Brahmane, als
Büßer vergeblich mit diesem Ich gekämpft hatte. Zu viel
Wissen hatte ihn gehindert, zu viel heilige Verse, zu viel Op-
ferregeln, zu viel Kasteiung, zu viel Tun und Streben! Voll
Hochmut war er gewesen, immer der Klügste, immer der
Eifrigste, immer allen um einen Schritt voran, immer der
Wissende und Geistige, immer der Priester oder Weise. In
dies Priestertum, in diesen Hochmut, in diese Geistigkeit
hinein hatte sein Ich sich verkrochen, dort saß es fest und
wuchs, während er es mit Fasten und Buße zu töten meinte.
Nun sah er es, und sah, daß die heimliche Stimme recht ge-
habt hatte, daß kein Lehrer ihn je hätte erlösen können.
Darum hatte er in die Welt gehen müssen, sich an Lust und
Macht, an Weib und Geld verlieren müssen, hatte ein Händler,
ein Würfelspieler, Trinker und Habgieriger werden müssen, bis
der Priester und Samana in ihm tot war. Darum hatte er weiter
diese häßlichen Jahre ertragen müssen, den Ekel ertragen, die
Leere, die Sinnlosigkeit eines öden und verlorenen Lebens,
bis zum Ende, bis zur bittern Verzweiflung, bis auch der
Lüstling Siddhartha, der Habgierige Siddhartha sterben
konnte. Er war gestorben, ein neuer Siddhartha war aus dem
Schlaf erwacht. Auch er würde alt werden, auch er würde
einst sterben müssen, vergänglich war Siddhartha,
vergänglich war jede Gestaltung. Heute aber war er jung, war
ein Kind, der neue Siddhartha, und war voll Freude.
Diese Gedanken dachte er, lauschte lächelnd auf seinen
Magen, hörte dankbar einer summenden Biene zu. Heiter
blickte er in den strömenden Fluß, nie hatte ihm ein Wasser so
wohl gefallen wie dieses, nie hatte er Stimme und Gleichnis
des ziehenden Wassers so
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