Siddharta
sein,
nicht Fasten, nicht Warten, nicht Denken. Um das Elendeste
hatte er sie hingegeben, um das Vergänglichste, um
Sinnenlust, um Wohlleben, um Reichtum! Seltsam war es ihm
in der Tat ergangen. Und jetzt, so schien es, jetzt war er
wirklich ein Kindermensch geworden.
Siddhartha dachte über seine Lage nach. Schwer fiel ihm
das Denken, er hatte im Grunde keine Lust dazu, doch zwang er
sich.
Nun, dachte er, da alle diese vergänglichsten Dinge mir
wieder entglitten sind, nun stehe ich wieder unter der Sonne,
wie ich einst als kleines Kind gestanden bin, nichts ist mein,
nichts kann ich, nichts vermag ich, nichts habe ich gelernt.
Wie ist dies wunderlich! Jetzt, wo ich nicht mehr jung bin, wo
meine Haare schon halb grau sind, wo die Kräfte nachlassen,
jetzt fange ich wieder von vorn und beim Kinde an! Wie-
der mußte er lächeln. Ja, seltsam war sein Geschick! Es ging
abwärts mit ihm, und nun stand er wieder leer und nackt und
dumm in der Welt. Aber Kummer darüber konnte er nicht
empfinden, nein, er fühlte sogar großen Anreiz zum Lachen,
zum Lachen über sich, zum Lachen über diese seltsame tö-
richte Welt.
»Abwärts geht es mit dir!« sagte er zu sich selber und lachte
dazu, und wie er es sagte, fiel sein Blick auf den Fluß, und
auch den Fluß sah er abwärts gehen, immer abwärts wandern,
und dabei singen und fröhlich sein. Das gefiel ihm wohl,
freundlich lächelte er dem Flusse zu. War dies nicht der Fluß, in welchem er sich hatte ertränken wollen, einst, vor hundert
Jahren, oder hatte er das geträumt?
Wunderlich in der Tat war mein Leben, so dachte er, wun-
derliche Umwege hat es genommen. Als Knabe habe ich nur
mit Göttern und Opfern zu tun gehabt. Als Jüngling habe ich
nur mit Askese, mit Denken und Versenkung zu tun gehabt,
war auf der Suche nach Brahman, verehrte das Ewige im At-
man. Als junger Mann aber zog ich den Büßern nach, lebte im
Walde, litt Hitze und Frost, lernte hungern, lehrte meinen Leib absterben. Wunderbar kam mir alsdann in der Lehre des großen
Buddha Erkenntnis entgegen, ich fühlte Wissen um die
Einheit der Welt in mir kreisen wie mein eigenes Blut. Aber
auch von Buddha und von dem großen Wissen mußte ich
wieder fort. Ich ging und lernte bei Kamala die Liebeslust, lernte bei Kamaswami den Handel, häufte Geld, vertat Geld, lernte
meinen Magen lieben, lernte meinen Sinnen schmeicheln.
Viele Jahre mußte ich damit hinbringen, den Geist zu
verlieren, das Denken wieder zu verlernen, die Einheit zu
vergessen. Ist es nicht so, als sei ich langsam und auf großen
Umwegen aus einem Mann ein Kind geworden, aus einem
Denker ein Kindermensch? Und doch ist dieser Weg sehr gut
gewesen, und doch ist der Vogel in meiner Brust nicht ge-
storben. Aber welch ein Weg war das! Ich habe durch so viel
Dummheit, durch so viel Laster, durch so viel Irrtum, durch so
viel Ekel und Enttäuschung und Jammer hindurchgehen
müssen, bloß um wieder ein Kind zu werden und neu anfangen
zu können. Aber es war richtig so, mein Herz sagt ja dazu,
meine Augen lachen dazu. Ich habe Verzweiflung erleben
müssen, ich habe hinabsinken müssen bis zum törichtesten
aller Gedanken, zum Gedanken des Selbstmordes, um Gnade
erleben zu können, um wieder Om zu vernehmen, um wieder
richtig schlafen und richtig erwachen zu können. Ich habe ein
Tor werden müssen, um Atman wieder in mir zu finden. Ich
habe sündigen müssen, um wieder leben zu können. Wohin
noch mag mein Weg mich führen? Närrisch ist er, dieser
Weg, er geht in Schleifen, er geht vielleicht im Kreise. Mag
er gehen, wie er will, ich will ihn gehen.
Wunderbar fühlte er in seiner Brust die Freude wallen.
Woher denn, fragte er sein Herz, woher hast du diese Fröh-
lichkeit? Kommt sie wohl aus diesem langen, guten Schlafe
her, der mir so sehr wohlgetan hat? Oder von dem Worte Om,
das ich aussprach? Oder davon, daß ich entronnen bin, daß
meine Flucht vollzogen ist, daß ich endlich wieder frei bin
und wie ein Kind unter dem Himmel stehe? O wie gut ist dies
Geflohensein, dies Freigewordensein! Wie rein und schön ist
hier die Luft, wie gut zu atmen! Dort, von wo ich entlief, dort roch alles nach Salbe, nach Gewürzen, nach Wein, nach
Überfluß, nach Trägheit. Wie haßte ich diese Welt der
Reichen, der Schlemmer, der Spieler! Wie habe ich mich selbst
gehaßt, daß ich so lang in dieser schrecklichen Welt geblieben
bin! Wie habe ich mich gehaßt, habe mich beraubt,
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