Siddharta
ge-
strigen Schimpfreden des Knaben vor Jammer zitterte. »Ein
Kind kann nicht allein durch den Wald gehen. Er wird um-
kommen. Wir müssen ein Floß bauen, Vasudeva, um übers
Wasser zu kommen.«
»Wir werden ein Floß bauen«, sagte Vasudeva, »um unser
Boot wieder zu holen, das der Junge entführt hat. Ihn aber
solltest du laufen lassen, Freund, er ist kein Kind mehr, er
weiß sich zu helfen. Er sucht den Weg nach der Stadt, und er
hat recht, vergiß das nicht. Er tut das, was du selbst zu tun
versäumt hast. Er sorgt für sich, er geht seine Bahn. Ach,
Siddhartha, ich sehe dich leiden, aber du leidest Schmerzen,
über die man lachen möchte, über die du selbst bald lachen
wirst.«
Siddhartha antwortete nicht. Er hielt schon das Beil in
Händen, und begann ein Floß aus Bambus zu machen, und
Vasudeva half ihm, die Stämme mit Grasseilen zusammen-
zubinden. Dann fuhren sie hinüber, wurden weit abgetrie-
ben, zogen das Floß am jenseitigen Ufer flußauf.
»Warum hast du das Beil mitgenommen?« fragte Siddhartha.
Vasudeva sagte: »Es könnte sein, daß das Ruder unsres
Bootes verlorengegangen wäre.«
Siddhartha aber wußte, was sein Freund dachte. Er dachte,
der Knabe werde das Ruder weggeworfen oder zerbrochen
haben, um sich zu rächen und um sie an der Verfolgung zu
hindern. Und wirklich war kein Ruder mehr im Boote. Va-
sudeva wies auf den Boden des Bootes und sah den Freund
mit Lächeln an, als wollte er sagen: »Siehst du nicht, was dein Sohn dir sagen will? Siehst du nicht, daß er nicht verfolgt sein will?« Doch sagte er dies nicht mit Worten. Er machte sich
daran, ein neues Ruder zu zimmern. Siddhartha aber nahm
Abschied, um nach dem Entflohenen zu suchen. Vasudeva
hinderte ihn nicht.
Als Siddhartha schon lange im Walde unterwegs war, kam
ihm der Gedanke, daß sein Suchen nutzlos sei. Entweder, so
dachte er, war der Knabe längst voraus und schon in der Stadt
angelangt, oder, wenn er noch unterwegs sein sollte, würde er
vor ihm, dem Verfolgenden, sich verborgen halten. Da er
weiter dachte, fand er auch, daß er selbst nicht in Sorge um
seinen Sohn war, daß er im Innersten wußte, er sei weder
umgekommen, noch drohe ihm im Walde Gefahr. Dennoch
lief er ohne Rast, nicht mehr, um ihn zu retten, nur aus Ver-
langen, nur um ihn vielleicht nochmals zu sehen. Und er lief
bis vor die Stadt.
Als er nahe bei der Stadt auf die breite Straße gelangte,
blieb er stehen, am Eingang des schönen Lustgartens, der
einst Kamala gehört hatte, wo er sie einst, in der Sänfte, zum
erstenmal gesehen hatte. Das Damalige stand in seiner Seele
auf, wieder sah er sich dort stehen, jung, ein bärtiger nackter Samana, das Haar voll Staub. Lange stand Siddhartha und
blickte durch das offene Tor in den Garten, Mönche in
gelben Kutten sah er unter den schönen Bäumen gehen.
Lange stand er, nachdenkend, Bilder sehend, der Ge-
schichte seines Lebens lauschend. Lange stand er, blickte
nach den Mönchen, sah statt ihrer den jungen Siddhartha, sah
die junge Kamala unter den hohen Bäumen gehen. Deutlich
sah er sich, wie er von Kamala bewirtet ward, wie er ihren ersten Kuß empfing, wie er stolz und verächtlich aufsein Brah-manentum zurückblickte, stolz und verlangend sein Weltle-
ben begann. Er sah Kamaswami, sah die Diener, die Gelage,
die Würfelspieler, die Musikanten, sah Kamalas Singvogel
im Käfig, lebte dies alles nochmals, atmete Sansara, war
nochmals alt und müde, fühlte nochmals den Ekel, fühlte
nochmals den Wunsch, sich auszulöschen, genas nochmals
am heiligen Om.
Nachdem er lange beim Tor des Gartens gestanden war,
sah Siddhartha ein, daß das Verlangen töricht war, das ihn bis
zu dieser Stätte getrieben hatte, daß er seinem Sohne nicht
helfen konnte, daß er sich nicht an ihn hängen durfte. Tief
fühlte er die Liebe zu dem Entflohenen im Herzen, wie eine
Wunde, und fühlte zugleich, daß ihm die Wunde nicht gegeben
war, um in ihr zu wühlen, daß sie zur Blüte werden und
strahlen müsse.
Daß die Wunde zu dieser Stunde noch nicht blühte, noch
nicht strahlte, machte ihn traurig. An der Stelle des Wunsch-
zieles, das ihn hierher und dem entflohenen Sohne nachgezo-
gen hatte, stand nun Leere. Traurig setzte er sich nieder,
fühlte etwas in seinem Herzen sterben, empfand Leere, sah
keine Freude mehr, kein Ziel. Er saß versunken und wartete.
Dies hatte er am Flusse gelernt, dies eine: warten, Geduld ha-
ben, lauschen. Und er saß und
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