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Siddharta

Siddharta

Titel: Siddharta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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ge-
    strigen Schimpfreden des Knaben vor Jammer zitterte. »Ein
    Kind kann nicht allein durch den Wald gehen. Er wird um-
    kommen. Wir müssen ein Floß bauen, Vasudeva, um übers
    Wasser zu kommen.«
    »Wir werden ein Floß bauen«, sagte Vasudeva, »um unser
    Boot wieder zu holen, das der Junge entführt hat. Ihn aber
    solltest du laufen lassen, Freund, er ist kein Kind mehr, er
    weiß sich zu helfen. Er sucht den Weg nach der Stadt, und er
    hat recht, vergiß das nicht. Er tut das, was du selbst zu tun
    versäumt hast. Er sorgt für sich, er geht seine Bahn. Ach,
    Siddhartha, ich sehe dich leiden, aber du leidest Schmerzen,
    über die man lachen möchte, über die du selbst bald lachen
    wirst.«
    Siddhartha antwortete nicht. Er hielt schon das Beil in
    Händen, und begann ein Floß aus Bambus zu machen, und
    Vasudeva half ihm, die Stämme mit Grasseilen zusammen-
    zubinden. Dann fuhren sie hinüber, wurden weit abgetrie-
    ben, zogen das Floß am jenseitigen Ufer flußauf.
    »Warum hast du das Beil mitgenommen?« fragte Siddhartha.
    Vasudeva sagte: »Es könnte sein, daß das Ruder unsres
    Bootes verlorengegangen wäre.«
    Siddhartha aber wußte, was sein Freund dachte. Er dachte,
    der Knabe werde das Ruder weggeworfen oder zerbrochen
    haben, um sich zu rächen und um sie an der Verfolgung zu
    hindern. Und wirklich war kein Ruder mehr im Boote. Va-
    sudeva wies auf den Boden des Bootes und sah den Freund
    mit Lächeln an, als wollte er sagen: »Siehst du nicht, was dein Sohn dir sagen will? Siehst du nicht, daß er nicht verfolgt sein will?« Doch sagte er dies nicht mit Worten. Er machte sich
    daran, ein neues Ruder zu zimmern. Siddhartha aber nahm
    Abschied, um nach dem Entflohenen zu suchen. Vasudeva
    hinderte ihn nicht.
    Als Siddhartha schon lange im Walde unterwegs war, kam
    ihm der Gedanke, daß sein Suchen nutzlos sei. Entweder, so
    dachte er, war der Knabe längst voraus und schon in der Stadt
    angelangt, oder, wenn er noch unterwegs sein sollte, würde er
    vor ihm, dem Verfolgenden, sich verborgen halten. Da er
    weiter dachte, fand er auch, daß er selbst nicht in Sorge um
    seinen Sohn war, daß er im Innersten wußte, er sei weder
    umgekommen, noch drohe ihm im Walde Gefahr. Dennoch
    lief er ohne Rast, nicht mehr, um ihn zu retten, nur aus Ver-
    langen, nur um ihn vielleicht nochmals zu sehen. Und er lief
    bis vor die Stadt.
    Als er nahe bei der Stadt auf die breite Straße gelangte,
    blieb er stehen, am Eingang des schönen Lustgartens, der
    einst Kamala gehört hatte, wo er sie einst, in der Sänfte, zum
    erstenmal gesehen hatte. Das Damalige stand in seiner Seele
    auf, wieder sah er sich dort stehen, jung, ein bärtiger nackter Samana, das Haar voll Staub. Lange stand Siddhartha und
    blickte durch das offene Tor in den Garten, Mönche in
    gelben Kutten sah er unter den schönen Bäumen gehen.
    Lange stand er, nachdenkend, Bilder sehend, der Ge-
    schichte seines Lebens lauschend. Lange stand er, blickte
    nach den Mönchen, sah statt ihrer den jungen Siddhartha, sah
    die junge Kamala unter den hohen Bäumen gehen. Deutlich
    sah er sich, wie er von Kamala bewirtet ward, wie er ihren ersten Kuß empfing, wie er stolz und verächtlich aufsein Brah-manentum zurückblickte, stolz und verlangend sein Weltle-
    ben begann. Er sah Kamaswami, sah die Diener, die Gelage,
    die Würfelspieler, die Musikanten, sah Kamalas Singvogel
    im Käfig, lebte dies alles nochmals, atmete Sansara, war
    nochmals alt und müde, fühlte nochmals den Ekel, fühlte
    nochmals den Wunsch, sich auszulöschen, genas nochmals
    am heiligen Om.
    Nachdem er lange beim Tor des Gartens gestanden war,
    sah Siddhartha ein, daß das Verlangen töricht war, das ihn bis
    zu dieser Stätte getrieben hatte, daß er seinem Sohne nicht
    helfen konnte, daß er sich nicht an ihn hängen durfte. Tief
    fühlte er die Liebe zu dem Entflohenen im Herzen, wie eine
    Wunde, und fühlte zugleich, daß ihm die Wunde nicht gegeben
    war, um in ihr zu wühlen, daß sie zur Blüte werden und
    strahlen müsse.
    Daß die Wunde zu dieser Stunde noch nicht blühte, noch
    nicht strahlte, machte ihn traurig. An der Stelle des Wunsch-
    zieles, das ihn hierher und dem entflohenen Sohne nachgezo-
    gen hatte, stand nun Leere. Traurig setzte er sich nieder,
    fühlte etwas in seinem Herzen sterben, empfand Leere, sah
    keine Freude mehr, kein Ziel. Er saß versunken und wartete.
    Dies hatte er am Flusse gelernt, dies eine: warten, Geduld ha-
    ben, lauschen. Und er saß und

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