Siddharta
Lippen, mit dem brennenden
Auge, und das Gefühl der Gegenwart und Gleichzeitigkeit
durchdrang ihn völlig, das Gefühl der Ewigkeit. Tief emp-
fand er, tiefer als jemals, in dieser Stunde die Unzerstörbar-
keit jedes Lebens, die Ewigkeit jedes Augenblicks.
Da er sich erhob, hatte Vasudeva Reis für ihn bereitet.
Doch aß Siddhartha nicht. Im Stall, wo ihre Ziege stand,
machten sich die beiden Alten eine Streu zurecht, und Vasu-
deva legte sich schlafen. Siddhartha aber ging hinaus und saß
die Nacht vor der Hütte, dem Flusse lauschend, von Vergan-
genheit umspült, von allen Zeiten seines Lebens zugleich be-
rührt und umfangen. Zuweilen aber erhob er sich, trat an die
Hüttentür und lauschte, ob der Knabe schlafe.
Früh am Morgen, noch ehe die Sonne sichtbar ward, kam
Vasudeva aus dem Stalle und trat zu seinem Freunde.
»Du hast nicht geschlafen«, sagte er.
»Nein, Vasudeva. Ich saß hier, ich hörte dem Flusse zu.
Viel hat er mir gesagt, tief hat er mich mit dem heilsamen Ge-
danken erfüllt, mit dem Gedanken der Einheit.«
»Du hast Leid erfahren, Siddhartha, doch ich sehe, es ist
keine Traurigkeit in dein Herz gekommen.«
»Nein, Lieber, wie sollte ich denn traurig sein? Ich, der ich
reich und glücklich war, bin jetzt noch reicher und glückli-
cher geworden. Mein Sohn ist mir geschenkt worden.«
»Willkommen sei dein Sohn auch mir. Nun aber, Siddhar-
tha, laß uns an die Arbeit gehen, viel ist zu tun. Auf demselben Lager ist Kamala gestorben, auf welchem einst mein Weib
gestorben ist. Auf demselben Hügel auch wollen wir
Kamalas Scheiterhaufen bauen, auf welchem ich einst meines
Weibes Scheiterhaufen gebaut habe.«
Während der Knabe noch schlief, bauten sie den Scheiter-
haufen.
Der Sohn
Scheu und weinend hatte der Knabe der Bestattung seiner
Mutter beigewohnt, finster und scheu hatte er Siddhartha an-
gehört, der ihn als seinen Sohn begrüßte und ihn bei sich in
Vasudevas Hütte willkommen hieß. Bleich saß er tagelang
am Hügel der Toten, mochte nicht essen, verschloß seinen
Blick, verschloß sein Herz, wehrte und sträubte sich gegen
das Schicksal.
Siddhartha schonte ihn und ließ ihn gewähren, er ehrte
seine Trauer. Siddhartha verstand, daß sein Sohn ihn nicht
kenne, daß er ihn nicht lieben könne wie einen Vater. Langsam
sah und verstand er auch, daß der Elfjährige ein verwöhnter
Knabe war, ein Mutterkind, und in Gewohnheiten des
Reichtums aufgewachsen, gewöhnt an feinere Speisen, an ein
weiches Bett, gewohnt, Dienern zu befehlen. Siddhartha
verstand, daß der Trauernde und Verwöhnte nicht plötzlich
und gutwillig in der Fremde und Armut sich zufrieden geben
könne. Er zwang ihn nicht, er tat manche Arbeit für ihn,
suchte stets den besten Bissen für ihn aus. Langsam hoffte
er, ihn zu gewinnen, durch freundliche Geduld.
Reich und glücklich hatte er sich genannt, als der Knabe zu
ihm gekommen war. Da indessen die Zeit hinfloß, und der
Knabe fremd und finster blieb, da er ein stolzes und trotziges
Herz zeigte, keine Arbeit tun wollte, den Alten keine Ehr-
furcht erwies, Vasudevas Fruchtbäume beraubte, da begann
Siddhartha zu verstehen, daß mit seinem Sohne nicht Glück
und Friede zu ihm gekommen war, sondern Leid und Sorge.
Aber er liebte ihn, und lieber war ihm Leid und Sorge der
Liebe, als ihm Glück und Freude ohne den Knaben gewesen
war.
Seit der junge Siddhartha in der Hütte war, hatten die Alten
sich die Arbeit geteilt. Vasudeva hatte das Amt des Fährmanns
wieder allein übernommen, und Siddhartha, um bei seinem
Sohne zu sein, die Arbeit in Hütte und Feld.
Lange Zeit, lange Monate wartete Siddhartha darauf, daß
sein Sohn ihn verstehe, daß er seine Liebe annehme, daß er sie
vielleicht erwidere. Lange Monate wartete Vasudeva, zuse-
hend, wartete und schwieg. Eines Tages, als Siddhartha der
Junge seinen Vater wieder sehr mit Trotz und Launen gequält
und ihm beide Reisschüsseln zerbrochen hatte, nahm Vasu-
deva seinen Freund am Abend beiseite und sprach mit ihm.
»Entschuldige mich«, sagte er, »aus freundlichem Herzen
rede ich zu dir. Ich sehe, daß du dich quälst, ich sehe, daß du Kummer hast. Dein Sohn, Lieber, macht dir Sorge, und auch
mir macht er Sorge. An ein anderes Leben, an ein anderes
Nest ist der junge Vogel gewöhnt. Nicht wie du ist er dem
Reichtum und der Stadt entlaufen aus Ekel und Überdruß, er
hat wider seinen Willen dies alles dahinten lassen müssen. Ich
fragte den Fluß, o
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