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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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verlassen, selbst wenn irgendeine höhere Macht sich plötzlich erbötig gemacht hätte, uns aus diesen düsteren Höhlen nach Cambridge zu entführen. Wir konnten ihr ebensowenig entrinnen wie eine Motte dem Licht, das sie zerstört. Wir glichen zwei dem Opium Verfallenen: In Momenten, da wir bei klarem Verstand waren, war uns die tödliche Natur unserer Leidenschaft voll bewußt, doch hatten wir nicht die Kraft, uns ihren schrecklichen Wonnen zu entziehen.
    Kein Mann, der ›Sie‹ auch nur einmal unverschleiert gesehen, den Wohlklang ihrer Stimme gehört und die bittere Weisheit ihrer Worte getrunken, wäre bereit gewesen, auf ihren Anblick zugunsten eines ganzen Meeres ruhiger Freuden zu verzichten. Um wieviel mehr mußte dies – von mir einmal ganz abgesehen – bei Leo der Fall sein, den dieses ungewöhnliche Geschöpf seiner tiefsten Zuneigung versichert und bewiesen hatte, daß diese mehr als zweitausend Jahre angehalten hatte?
    Zweifellos war sie eine böse Person, und ohne Zweifel hatte sie Ustane, weil diese ihr im Wege stand, ermordet, doch war dies nicht andererseits ein Zeichen für ihre Treue, und neigt der Mann nicht von Natur aus dazu, einem Weib seine Verbrechen allzu leicht zu verzeihen, besonders wenn das Weib schön ist und die Verbrechen aus Liebe zu ihm begangen hat?
    Und überdies: Wann hatte sich je einem Mann eine solche Aussicht geboten wie jene, die jetzt vor Leo lag? Zwar setzte er sein Leben durch eine Vereinigung mit diesem furchtbaren Weib dem Einfluß einer rätselhaften Kreatur mit verruchten Absichten * auf, doch das gleiche konnte ihm ja auch in jeder gewöhnlichen Ehe leicht geschehen. Andererseits konnte er durch keine gewöhnliche Ehe solch eine unvergleichliche Schönheit, solch göttliche Hingabe, solche Weisheit, solche Herrschaft über die Geheimnisse der Natur gewinnen, nicht die Macht und den Ruhm, welche ihm diese einbringen würden, und schließlich nicht die königliche Krone ewiglicher Jugend, falls sie ihm diese wirklich geben konnte. Nein, es war durchaus nicht erstaunlich, daß Leo, obgleich bittere Scham und Reue ihn erfüllten, wie es bei jedem Mann von Ehre der Fall gewesen wäre, keinerlei Neigung spürte, seinem ungewöhnlichen Schicksal zu entfliehen.
    Meiner Ansicht nach hätte er wahrhaftig toll sein müssen, um dies zu tun. Doch ich muß gestehen, daß mein Urteil über diese Angelegenheit nicht gänzlich objektiv ist. Ich selbst liebe Ayesha bis zum heutigen Tage, und lieber wäre ich nur für eine kurze Woche der Gegenstand ihrer Zuneigung gewesen, als ein ganzes Leben lang der irgendeiner anderen Frau. Und sollte jemand an diesen meinen Worten zweifeln und sie für töricht halten, so darf ich ihm versichern, daß es ihm, hätte Ayesha sich vor ihm entschleiert und ihm all ihre Schönheit gezeigt, ganz genauso ergangen wäre. Natürlich ist hier nur von Männern die Rede. Wir hatten nie Gelegenheit, die Meinung einer Frau über Ayesha zu hören, doch ich halte es durchaus für möglich, daß einer solchen die Königin mißfallen hätte, daß sie ihrer Abneigung mehr oder weniger deutlich Ausdruck verliehen hätte und deshalb von dieser getötet worden wäre.
    Zwei Stunden oder noch länger saßen wir mit zerrütteten Nerven und furchtsamem Blick einander gegenüber und sprachen über unsere wunderbaren Erlebnisse. Das Ganze erschien uns eher wie ein Traum oder Märchen und war doch klare, nüchterne Wirklichkeit. Wer hätte geglaubt, daß die Inschrift auf der Tonscherbe nicht allein auf Wahrheit beruhte, sondern daß diese Wahrheit sich uns auf so erstaunliche Art erweisen würde, daß jene, die wir suchten, in den Gräbern von Kôr geduldig unserer Ankunft harrte? Wer hätte geglaubt, daß dieses geheimnisvolle Weib in Leos Person den Mann erkennen würde, auf den sie Jahrhunderte um Jahrhunderte gewartet, dessen einstige irdische Hülle sie bis zu jener Nacht aufbewahrt hatte? Und dennoch war es so. Angesichts alles dessen, was wir gesehen hatten, war es uns gewöhnlichen, logisch denkenden Menschen nicht länger möglich, die Wahrheit anzuzweifeln, und so begaben wir uns denn schließlich demütigen Herzens und tief durchdrungen von der Unzulänglichkeit menschlichen Wissens, das auf anmaßende Weise alles, was es nicht aus Erfahrung kennt, schlichtweg leugnet, zur Ruhe und überließen unser Geschick jener wachenden Vorsehung, der es gefallen hatte, den Schleier menschlicher Unwissenheit vor uns zu lüften und uns zum Guten und Bösen einen Blick

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