Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sie

Sie

Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
Vom Netzwerk:
deinem Wort, stets dem geraden Pfad der Pflicht folgen will. Ich schwöre, daß ich allen Ehrgeiz ablegen und mir für alle meine endlosen Tage die Weisheit zum Leitstern küren will, der mich zur Wahrheit und zur Erkenntnis des Rechten führen soll. Ich schwöre, daß ich dich ehren und lieben will, Kallikrates, den die Woge der Zeit zurück in meine Arme trieb, ja, bis ans Ende, mag es bald kommen oder spät. Ich schwöre – nein, genug der Schwüre, was sind schon Worte? Doch du wirst erkennen, daß Ayeshas Zunge frei von Falsch ist.
    Ich habe es geschworen, und du, mein Holly, bist Zeuge meines Eides. Nun, mein Gatte, sind wir vermählt, vermählt bis ans Ende aller Tage – das Dunkel ist unser Traualtar, und das Gelübde unserer Ehe schreiben wir in den Sturm, der es empor zum Himmel tragen soll und immer wieder rund um diese Welt, so lange sie sich dreht.
    Als Hochzeitsgabe setze ich dir aufs Haupt die Sternenkrone meiner Schönheit und schenke dir unbegrenztes Leben, Weisheit ohne Maß und unbeschränkten Reichtum. Siehe! Die Großen dieser Welt sollen dir zu Füßen liegen, ihre schönen Frauen vor dem strahlenden Glanz deiner Gestalt die Augen sich verhüllen, und ihre Weisen soll dein Wissen beschämen. Du sollst in den Herzen der Menschen lesen wie in einem offenen Buch und sie führen, wohin es dir beliebt. Gleich jener alten Sphinx Ägyptens sollst ewiglich du über ihnen thronen, anflehen sollen sie dich, ihnen das Rätsel deiner unvergänglichen Größe zu enthüllen, und du sollst mit deinem Schweigen ihrer spotten!
    Siehe! Noch einmal küsse ich dich, und mit diesem Kuß gebe ich dir Herrschaft über Land und Meer, über den Bauer in seiner Hütte, über den König in seinem Palast, über die mit Türmen gekrönten Städte und alle, die in ihnen wohnen. So weit der Sonne Strahlen reichen, wo immer in stillen Wassern der Mond sich spiegelt, wo immer Stürme brausen und des Himmels blauer Bogen sich wölbt – vom reinen schneeverhüllten Norden bis zum liebestrunkenen Süden, der auf dem blauen Lager der Meere ruht gleich einer Braut –, soll deine Macht sich erstrecken, deine Herrschaft eine Heimstatt haben. Keine Krankheit, weder Furcht noch Sorge noch Vergänglichkeit des Leibes und des Geistes, wie sie allen anderen Menschen drohen, sollen mit den Schatten ihrer Flügel dich auch nur streifen. Einem Gotte gleich sollst du Gut und Böse in deiner Hand halten, und ich, selbst ich, demütige mich vor dir. Dies ist die Macht der Liebe, dies die Hochzeitsgabe, die ich dir schenke, Kallikrates, Geliebter, mein Gebieter und Gebieter des Alls.
    Nun ist es geschehen; nun habe ich meine Jungfräulichkeit dir hingegeben; und ob Sturm kommt, ob Sonnenschein, ob Gutes oder Böses, ob der Tod – nichts kann es jemals ungeschehen machen. Denn wahrhaft, es ist, was ist, und was geschehen ist, ist geschehen für immer und unabänderlich. – Doch jetzt laßt uns aufbrechen, damit alles in rechter Ordnung sich erfüllt«, und eine der Lampen ergreifend, schritt sie uns voran zum Ende der von dem schwankenden Stein überdachten Kammer und blieb dort stehen.
    Wir folgten ihr und bemerkten in der Wand des Felskegels eine Treppe oder besser einige vorspringende Steinzacken, die einer Treppe ähnelten. Ayesha sprang flink wie eine Gemse hinab, und wir folgten ihr weniger anmutsvoll. Nach etwa zehn oder zwölf derartigen Stufen endete die Treppe in einem schrecklich steilen Abhang, der sich zuerst nach außen und dann nach innen wandte. Trotz seiner Steilheit war er jedoch nicht unpassierbar, und wir stiegen ihn beim Licht der Lampe ohne große Mühe hinab, obgleich wir uns bei dem Gedanken, daß wir in das Innere eines toten Vulkans eindrangen, ganz und gar nicht behaglich fühlten. Zur Vorsicht prägte ich mir den Weg so gut wie möglich ein; was gar nicht so schwierig war, denn überall lagen Felsbrocken von höchst merkwürdiger und phantastischer Gestalt herum, von denen viele in dem schwachen Licht den grimmigen Fratzen mittelalterlicher Wasserspeier glichen.
    Lange stiegen wir so hinab, mindestens eine halbe Stunde, bis wir nach vielen hundert Fuß endlich die Spitze des umgekehrten Kegels erreichten. Dort befand sich die Mündung eines Ganges, der so niedrig und eng war, daß wir uns bücken und im Gänsemarsch hindurchkriechen mußten. Nach etwa fünfzig Metern erweiterte sich der Gang plötzlich zu einer Höhle, die so riesengroß war, daß wir weder ihre Decke noch ihre Wände erkennen konnten. Nur am Echo

Weitere Kostenlose Bücher