Sie
blickte über meine Schulter zurück – kein Lichtschein, kein Laut. Ich starrte nach vorn ins Dunkel – und wirklich, in weiter Ferne sah ich etwas wie einen schwachen Feuerschein. Vielleicht war es eine Höhle, wo ich meine Lampe wieder anzünden konnte – jedenfalls schien es lohnenswert, nachzusehen. Langsam und vorsichtig kroch ich durch den Tunnel, mich mit der Hand die Wand entlangtastend und bei jedem Schritt den Boden mit dem Fuß untersuchend, bevor ich ihn niedersetzte, um nicht in einen Abgrund zu stürzen. Nach dreißig Schritten sah ich tatsächlich ein Licht, ein helles Licht, das auf und nieder flackernd durch einen Vorhang schimmerte! Fünfzig Schritte, und es war ganz nahe! Sechzig – o großer Himmel!
Ich stand vor den Vorhängen, und da sie nicht ganz geschlossen waren, konnte ich deutlich die kleine Höhle dahinter sehen. Sie sah aus wie eine Grabkammer und war erhellt von einem Feuer, das rauchlos und mit weißlicher Flamme in ihrer Mitte brannte. Ja, dort zur Linken war eine steinerne Bahre mit einem etwa drei Zoll hohen Rand, und darauf schien ein Leichnam zu liegen, bedeckt mit einem weißen Tuch. Rechts befand sich eine ähnliche Bahre, auf der einige bestickte Decken lagen. Über das Feuer beugte sich die Gestalt einer Frau; sie wandte mir die Seite und das Gesicht dem Leichnam zu und war in einen schwarzen Mantel gehüllt wie eine Nonne. Sie schien in die flackernde Flamme zu starren. Plötzlich, während ich noch nachdachte, was ich tun sollte, richtete die Frau, wie von einer ungeheuren Energie getrieben, sich auf und warf den schwarzen Mantel ab.
Es war Ayesha!
Sie trug wie vorhin, als sie sich entschleiert hatte, das makellos weiße, über ihrem Busen weit ausgeschnittene Gewand, um die Taille zusammengehalten von der barbarischen doppelköpfigen Schlange, und ihr gewelltes schwarzes Haar fiel auch jetzt lose über ihren Rücken. Was meinen Blick anzog und mich bannte, doch diesmal nicht durch die Macht seiner Schönheit, sondern durch die Furchtbarkeit seines Ausdrucks, war ihr Gesicht. Es war schön wie je, doch in den bebenden Zügen, in den nach oben verdrehten Augen lag eine Qual, eine blinde Leidenschaft und eine grauenvolle Rachsucht, die ich nicht zu schildern vermag.
Während sie einen Augenblick regungslos verharrte, die Hände hoch über den Kopf erhoben, glitt ihr weißes Gewand hinab bis zu dem goldenen Gürtel und enthüllte die blendende Schönheit ihres Leibes. So stand sie mit geballten Fäusten da, und der schreckliche Ausdruck ihres Gesichts nahm immer mehr an Bosheit zu.
Plötzlich fragte ich mich, was wohl geschehen würde, wenn sie mich entdeckte, und bei diesem Gedanken wurde mir ganz übel. Doch ich glaube, selbst wenn ich gewußt hätte, daß es meinen Tod bedeutete, wenn ich stehenblieb, hätte ich mich nicht von der Stelle gerührt – so fasziniert war ich. Dabei war ich mir der Gefahr, in der ich mich befand, durchaus bewußt. Wenn sie mich hörte oder durch die Vorhänge sah, wenn ich nur nieste oder ihre Zauberkraft ihr meine Anwesenheit verriet, so war mein Schicksal besiegelt.
Nun ließ sie die geballten Hände sinken und streckte sie dann wieder hoch über den Kopf, und so wahr ich ein Ehrenmann bin – die weiße Flamme schlug ihnen nach, fast bis zur Decke, und warf einen wilden, unheimlichen Schein auf ›Sie‹, die weiße Gestalt auf der Bahre und das Felsgestein.
Wieder senkten sich die Elfenbeinarme, und dabei sprach oder besser zischte sie etwas auf arabisch, in einem Ton, der mein Blut erstarren und für einen Augenblick mein Herz stillstehen ließ.
»Fluch über sie, möge ewig sie verflucht sein.«
Die Arme fielen herab, und die Flamme sank. Dann hoben sie sich wieder, und die breite Feuerzunge schoß hoch und dann wieder nieder.
»Fluch ihrem Andenken – Fluch dem Andenken der Ägypterin.«
Arme und Flamme hoben sich und fielen.
»Fluch über sie, die Tochter des Nils, wegen ihrer Schönheit.
Fluch über sie und ihre magische Kraft, die mich besiegt hat.
Fluch über sie, weil sie mir meinen Geliebten entrissen hat.«
Und wieder sank die Flamme in sich zusammen.
Sie schlug die Hände vor die Augen und rief:
»Was nützt das Fluchen? – Sie hat gesiegt und ist entkommen.«
Dann begann sie wieder, in noch zornigerem Ton:
»Fluch über sie, wo sie auch sein mag. Mögen meine Flüche sie erreichen und ihre Ruhe stören.
Fluch über sie durch alle Sternensphären. Verflucht sei ihr Schatten.
Möge meine Macht sie selbst
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