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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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Geistern und Toten bleiben müssen. Doch jetzt, Sir, muß ich nach Mr. Leos Suppe sehen, das heißt, wenn diese wilde Katze mich läßt; und vielleicht möchten Sie auch aufstehen, Sir – es ist schon neun Uhr vorüber.«
    Jobs Bemerkungen waren für jemanden, der eine solche Nacht hinter sich hatte, nicht gerade ermunternd; und was noch schlimmer war: er hatte recht. Wenn ich alles richtig bedachte, so schien es auch mir völlig unmöglich, jemals von hier fortzukommen. Selbst angenommen, daß Leo wieder gesund wurde, daß ›Sie‹ uns (was äußerst unwahrscheinlich schien) ziehen ließ und nicht in einem Zornesausbruch umbrachte und daß die Amahagger uns nicht mit ihren heißen Töpfen brieten, würde es uns doch ganz unmöglich sein, den Weg durch den Wirrwarr von Sümpfen zu finden, die, endlose Meilen sich erstreckend, eine stärkere und undurchdringlichere Befestigung um die verschiedenen Amahagger-Haushalte bildeten, als je ein Mensch sie hätte ersinnen oder errichten können. Nein, es gab nur eine Möglichkeit – sich mit dem Ganzen abzufinden und es durchzustehen; und ich für meine Person war an der unheimlichen Geschichte derart interessiert, daß ich trotz meiner zerrütteten Nerven dazu entschlossen war, selbst wenn meine Neugier mich das Leben kosten sollte. Welcher Mann, der eine Vorliebe für die Psychologie hat, hätte der Versuchung widerstehen können, einen Charakter wie den Ayeshas zu studieren, wenn sich eine so gute Gelegenheit dazu bot? Gerade die damit verbundenen Schrecken erhöhten mein Interesse, und außerdem hatte sie, wie ich mir selbst jetzt bei nüchternem Tageslicht eingestehen mußte, Reize, welche ich nicht vergessen konnte. Nicht einmal die grauenvolle Szene, deren Zeuge ich während der Nacht gewesen war, konnte diese Narrheit aus meinem Sinn vertreiben; und ach! ich muß gestehen, sie ist bis zu dieser Stunde nicht daraus verschwunden.
    Nachdem ich mich angekleidet hatte, begab ich mich in die Speise- oder besser Einbalsamierungskammer und nahm ein wenig von dem Essen zu mir, welches wieder von den stummen Mädchen serviert wurde. Als ich fertig war, sah ich nach dem armen Leo, der sich in einem ganz wirren Zustand befand und nicht einmal mich erkannte. Ich fragte Ustane, was sie von ihm halte, doch sie schüttelte den Kopf und begann leise zu weinen. Offenbar hatte sie nur wenig Hoffnung, und so beschloß ich, falls irgendwie möglich, ›Sie‹ zu bitten, sich seiner anzunehmen. Wenn sie nur wollte, konnte sie ihn sicherlich heilen – zumindest hatte sie dies behauptet. Während ich noch ins Leos Kammer war, trat Billali ein und schüttelte ebenfalls den Kopf.
    »Er wird die nächste Nacht sterben«, sagte er.
    »Das verhüte Gott, mein Vater«, entgegnete ich und wandte mich schweren Herzens ab.
    »Die Herrscherin ›Sie‹ möchte dich sehen, mein Pavian«, sagte der Alte, sobald wir die Kammer verlassen hatten, »doch, oh, mein teurer Sohn, sei besser auf der Hut. Gestern war ich überzeugt, daß ›Sie‹ dich erschlagen würde, als du nicht auf dem Bauche vor sie krochst. Sie sitzt in der großen Halle über jene, die dich und den Löwen töten wollten, zu Gericht. Komm, mein Sohn, eile dich.«
    Ich folgte ihm durch den Gang, und als wir uns der großen Haupthöhle näherten, sahen wir, daß auch viele Amahagger, teils in weiße Gewänder gekleidet, teils nur mit der süßen Einfachheit eines Leopardenfells bedeckt, ihr gleichfalls zustrebten. Wir mischten uns unter sie und schritten durch die ungeheure, fast unabsehbare Höhle. Ihre Wände bedeckten kunstvolle Skulpturen, und in regelmäßigen Abständen zweigten von ihr Seitengänge ab, welche, wie Billali mir sagte, zu Grabkammern führten, die ›das Volk, das vor uns war‹, aus dem Fels herausgeschlagen hatte. Niemand, so erklärte er, besuchte diese Gräber heute noch; und ich muß gestehen, daß bei dem Gedanken, welche Möglichkeiten zur Altertumsforschung sich mir hier boten, mein Herz höher schlug.
    Endlich kamen wir zum Ende der Höhle, wo sich eine Felsplattform befand, die fast genau jener glich, auf der wir so wütend angegriffen worden waren – was mir zu beweisen schien, daß diese Podeste einst als Altäre gedient hatten, wahrscheinlich zur Abhaltung religiöser Feierlichkeiten oder der mit der Beisetzung der Toten verbundenen Riten. Beiderseits dieser Plattform führten, wie Billali mir zuflüsterte, Gänge zu anderen Höhlen voller Toter. »Der ganze Berg«, sagte er, »ist voller Toter, und

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