Sie
vergeben, du Teufelsweib?« schrie der arme Leo, in seinem Zorn und Kummer die Hände ringend. »Dir vergeben, du Mörderin! Beim Himmel! Töten will ich dich!«
»Nein, nein«, entgegnete sie in dem gleichen sanften Ton, »du weißt ja nichts – doch nun sollst du alles erfahren. Du bist mein Geliebter, mein Kallikrates, mein Schöner, mein Starker! Zweitausend Jahre lang, Kallikrates, habe ich auf dich gewartet, und nun endlich bist du zu mir zurückgekehrt. Und dieses Weib«, sie deutete auf den Leichnam, »stand zwischen dir und mir – deshalb mußte es sterben, Kallikrates.«
»Du lügst!« sagte Leo. »Ich heiße nicht Kallikrates. Ich heiße Leo Vincey; Kallikrates war einer meiner Ahnen – zumindest nehme ich das an.«
»Ja, so ist es – Kallikrates war dein Ahne, und du, ja, du bist der wiedergeborene und zurückgekehrte Kallikrates – und mein teurer Geliebter!«
»Ich bin nicht Kallikrates und nicht dein Geliebter. Da möchte ich schon eher der Geliebte einer Teufelin aus der Hölle sein, denn sie wäre besser als du.«
»Wie kannst du nur so sprechen, Kallikrates? Ach, du hast mich so lange nicht gesehen, daß du dich meiner nicht erinnerst. Sieh doch, wie schön ich bin, Kallikrates!«
»Ich hasse dich, du Mörderin, und ich habe kein Verlangen, dich zu sehen. Was kümmert es mich, wie schön du bist! Ich hasse dich, hörst du?«
»Und dennoch wirst du in einer kleinen Weile mir zu Füßen liegen und schwören, daß du mich liebst«, erwiderte Ayesha mit einem süßen, spöttischen Lachen. »Komm, jetzt ist der rechte Augenblick – hier vor jenem toten Mädchen, das dich liebte, will ich's dir beweisen. Sieh mich jetzt an, Kallikrates!« und mit einer raschen Bewegung entledigte sie sich ihres schleierartigen Gewandes und stand in ihrem ausgeschnittenen Kleid mit dem Schlangengürtel in all ihrer strahlenden Schönheit und königlichen Anmut vor uns, emporsteigend aus ihrer Hülle wie Venus aus der Woge oder wie Galatea aus dem Marmor. Sie trat vor und richtete ihre strahlenden Augen auf Leos Augen, und ich sah, wie seine geballten Fäuste sich lösten und sein starres, bebendes Gesicht unter ihrem Blick sich entspannte. Ich sah, wie sein Staunen sich in Bewunderung und dann in Verzückung wandelte, und je mehr er dagegen ankämpfte, um so mehr schien ihre schreckliche Schönheit ihn in ihren Bann zu ziehen und von seinen Sinnen Besitz zu ergreifen, ihn zu betäuben und in sein Herz zu dringen. Kannte ich das nicht allzugut? Hatte nicht ich, doppelt so alt wie er, das gleiche durchgemacht? Erlebte ich es nicht in diesem Augenblick aufs neue, obwohl ihr süßer, leidenschaftlicher Blick gar nicht mir galt? Ach, leider war es so! Ach, ich muß gestehen, daß in jenem Moment eine tolle, wilde Leidenschaft mich zerriß.
Ich hätte mich – Schande über mich – auf ihn stürzen mögen! Das Weib hatte meine Moral ins Wanken gebracht, ja fast vernichtet, wie es die Moral eines jeden Mannes ins Wanken bringen mußte, der seine übermenschliche Schönheit schaute. Allein, es gelang mir, mich – ich weiß nicht, wie – zu beherrschen, und so wandte ich mich den beiden wieder zu, um den Höhepunkt der Tragödie zu betrachten.
»Oh, großer Himmel!« keuchte Leo, »bist du ein Weib?«
»Jawohl, ein Weib – nichts als ein Weib – und ganz die deine, Kallikrates!« erwiderte sie, ihre runden Arme ihm entgegenstreckend und – ach, wie süß – lächelnd.
Er blickte sie hingerissen an, und dann sah ich, wie er sich langsam ihr näherte. Plötzlich fiel sein Blick auf den Leichnam der armen Ustane, und er erschauderte und hielt inne.
»Wie kann ich denn?« sagte er heiser. »Du bist eine Mörderin; sie liebte mich.«
Anscheinend hatte er bereits vergessen, daß auch er sie geliebt hatte.
»Das ist vorbei«, murmelte sie mit einer Stimme, die süß klang wie der Nachtwind, wenn er durch die Bäume streicht, »– vorbei. Wenn ich gesündigt habe, soll meine Schönheit meine Sünde tilgen. Wenn ich gesündigt habe, dann nur aus Liebe zu dir; darum laß meine Sünde vergessen sein«, und wieder streckte sie die Arme aus und flüsterte: »Komm!« – und dann war's binnen weniger Sekunden um ihn geschehen.
Ich sah, wie er mit sich kämpfte, ja gar zur Flucht sich wandte; doch ihre Augen fesselten ihn stärker an sie als eherne Bande, und die Zauberkraft ihrer Schönheit, ihres Willens und ihrer Leidenschaft überwältigten ihn – besiegten ihn angesichts der Leiche des Mädchens, das ihn so sehr
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