Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman
bestand wenigstens geringe Hoffnung. Deshalb deckte ich diesmal meine Zeichnung nicht zu, wie ich es mit allen vorherigen getan hatte.
Wir gingen herum, um uns anzuschauen, was die anderen zustande gebracht hatten, und dabei entdeckte ich, was sie wirklich konnten: Sie hatten das Modell mit allen Einzelheiten und Schattierungen gezeichnet, die Handtasche, die auf der Bank lag, auf der sie saß, das Podium, einfach alles! Sie gingen zip, zip, zip, zip, zip mit der Holzkohle über das ganze Blatt, und ich fand, bei mir sei es hoffnungslos - völlig hoffnungslos.
Ich gehe zurück, um meine Zeichnung zuzudecken, die aus ein paar, in die obere Ecke des Skizzenpapiers gequetschten Linien besteht - ich hatte bis dahin nur auf DINA4-Papier gezeichnet -, aber da stehen ein paar andere aus der Klasse: »Oh, schaut euch mal dies hier an«, sagt einer von ihnen. »Jede Linie zählt!«
Ich wußte nicht genau, was das bedeutete, aber ich fühlte mich doch so ermutigt, daß ich zum nächsten Kurs kommen wollte. In der Zwischenzeit machte Jerry mir immer wieder klar, daß Zeichnungen, auf denen zuviel drauf ist, nichts taugen. Seine Aufgabe bestand darin, mich zu lehren, mir keine Gedanken über die anderen zu machen, weshalb er mir sagte, so stark seien sie gar nicht.
Mir fiel auf, daß der Lehrer den Leuten nicht viel sagte (mir sagte er nur, daß meine Zeichnung auf dem Blatt viel zu klein geraten sei). Statt dessen suchte er uns dazu anzuregen, mit neuen Methoden zu experimentieren. Ich dachte daran, wie wir Physik unterrichten: Wir haben so viele Techniken - so viele mathematische Methoden -, daß wir nie aufhören, den Studenten zu sagen, wie sie vorgehen sollen. Der Zeichenlehrer scheut sich, einem irgend etwas zu sagen. Wenn die Linien, die man gezeichnet hat, sehr dick geraten sind, kann er nicht sagen: »Ihre Linien sind zu stark«, denn bestimmt hat irgendein Künstler gerade mit starken Linien großartige Bilder gemalt. Der Lehrer möchte einen nicht in eine bestimmte Richtung drängen. Der Zeichenlehrer hat also die Aufgabe, nicht zu unterweisen, sondern einem ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie man zeichnet, während die Aufgabe des Physiklehrers darin besteht, nicht das Prinzip, sondern stets Techniken zu lehren, die man benutzt, um physikalische Probleme zu lösen.
Sie erzählen einem immer, man solle »lockerer« sein, entspannter an das Zeichnen herangehen. Ich fand, das mache nicht mehr Sinn, als wenn man jemandem, der gerade fahren lernt, sagt, er solle sich doch »lockerer« ans Steuer setzen. Das klappt nicht. Erst wenn man weiß, wie es mit angespannter Aufmerksamkeit geht, kann man anfangen, lockerer zu werden. Ich gab also nichts auf dieses dauernde Gerede vom Lockerer-Werden.
Eine der Lockerungsübungen, die sie sich für uns hatten einfallen lassen, bestand darin, zu zeichnen, ohne auf das Blatt zu schauen. Laßt das Modell nicht aus den Augen; schaut nur auf sie und zieht die Linien auf dem Papier, ohne darauf zu achten, was ihr macht.
Einer der Schüler sagt: »Das schaff ich nicht. Ich muß mogeln. Ich wette, das tun alle!«
»Ich mogle nicht«, sage ich.
»Ach Quatsch!« sagen sie.
Ich schließe die Übung ab, und sie kommen zu mir, um zu sehen, was ich gezeichnet habe. Sie fanden, daß ich tatsächlich NICHT gemogelt hatte; gleich zu Anfang war an meinem Stift die Spitze abgebrochen, und auf dem Papier waren nichts als Druckstellen.
Nachdem ich meinen Stift wieder angespitzt hatte, versuchte ich es noch einmal. Ich fand, daß meine Zeichnung eine gewisse Kraft hatte - eine eigenartige, halb an Picasso erinnernde Kraft -, die mir zusagte. Die Zeichnung gefiel mir, weil ich wußte, daß man so unmöglich gut zeichnen kann, so daß sie nicht gut sein mußte - und das genau war es, worum es bei dem Lockerer-Werden ging. Ich hatte gedacht, »Lockerer-Werden«, das heiße, »schludrige Zeichnungen machen«, aber in Wirklichkeit bedeutete es, sich zu entspannen und sich keine Gedanken darüber zu machen, wie die Zeichnung wird.
Ich machte große Fortschritte in dem Kurs und fühlte mich recht wohl. Bis zur letzten Sitzung waren alle Modelle, die wir hatten, ziemlich schwergewichtig und plump; sie zu zeichnen, war recht interessant. Aber im letzten Kurs war das Modell eine flotte Blondine mit einer wohlproportionierten Figur. Erst da stellte ich fest, daß ich immer noch nicht zeichnen konnte: Ich brachte nichts zustande, das im entferntesten diesem hübschen Mädchen ähnlich sah! Wenn bei den
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