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Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman

Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman

Titel: Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard P. Feynman
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anderen Modellen etwas ein wenig zu groß oder zu klein geriet, war das nicht weiter schlimm, denn es war ja ohnedies alles etwas formlos. Aber wenn man etwas zu zeichnen versucht, das so gut gebaut ist, kann man nicht pfuschen: Es muß einfach stimmen.
    In einer der Pausen hörte ich, wie einer der Schüler, der wirklich zeichnen konnte, das Mädchen fragte, ob sie auch privat Modell stehen würde. Sie sagte ja. »Gut. Aber ich habe bis jetzt noch kein Studio, ich muß also erst mal dafür sorgen.«
    Ich dachte, ich könnte eine Menge von ihm lernen, und wenn ich nicht irgend etwas unternähme, würde ich nie wieder Gelegenheit haben, dieses flotte Modell zu zeichnen. »Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Ich habe unten in meinem Haus einen Raum, den man als Studio verwenden könnte.«
    Sie waren beide einverstanden. Ich nahm ein paar von seinen Zeichnungen mit zu meinem Freund Jerry, aber er war entsetzt: »Gut sind die nicht gerade«, meinte er. Er versuchte mir zu erklären, warum, aber ich habe es nie richtig verstanden.
    Bevor ich Zeichnen lernte, war ich nie sonderlich daran interessiert, mir Kunstwerke anzusehen. Ich hatte sehr wenig Verständnis für künstlerische Dinge, und nur sehr selten sagten sie mir etwas, wie zum Beispiel einmal, als ich in Japan in einem Museum war. Dort sah ich ein Gemälde auf braunem Bambuspapier, und was ich daran schön fand, war, daß zwischen den paar Pinselstrichen und dem Bambus ein vollkommenes Gleichgewicht bestand - ich konnte es so oder so sehen.
    In dem Sommer nach dem Zeichenkurs war ich in Italien, um dort an einer wissenschaftlichen Konferenz teilzunehmen, und ich wollte mir gern die Sixtinische Kapelle ansehen. Ich kam sehr früh morgens dorthin, kaufte meine Eintrittskarte, bevor sonst jemand da war, und sobald geöffnet wurde, rannte ich die Stufen hinauf. So hatte ich das ungewöhnliche Vergnügen, einen Moment lang in stiller Ehrfurcht die ganze Kapelle betrachten zu können, bevor irgend jemand anders hereinkam.
    Bald kamen die Touristen, und Unmassen von Leuten liefen herum, die sich in unterschiedlichen Sprachen verstän digten und hierhin und dorthin zeigten. Ich wanderte umher und sah mir eine Weile die Decke an. Dann glitt mein Blick ein wenig hinunter, und ich sah ein paar riesige gerahmte Bilder und dachte: »Mensch! Von denen habe ich ja überhaupt nichts gewußt!«
    Leider hatte ich meinen Reiseführer im Hotel gelassen, aber ich dachte mir: »Ich weiß, warum diese Fresken nicht so berühmt sind; sie taugen nichts.« Aber dann schaute ich mir ein anderes an und sagte: »Wow! Das ist echt gut. « Dann sah ich mir die anderen an. »Das ist auch gut, das auch, aber das ist miserabel.« Ich hatte noch nie von diesen Fresken gehört, aber ich entschied, bis auf zwei seien alle gut.
    Dann ging ich in die sogenannte Sala de Raffael - den Raffael-Saal -, und da fiel mir dasselbe auf. Ich dachte bei mir: »Raffael ist nicht immer gleich gut. Es gelingt ihm nicht immer. Manchmal ist er sehr gut. Manchmal ist es schlicht Schund.«
    Als ich ins Hotel zurückkam, sah ich im Reiseführer nach. In dem Teil über die Sixtinische Kapelle stand: »Unter den Gemälden von Michelangelo vierzehn Fresken von Botticelli, Perugino« - all diese Namen großer Künstler - »und zwei von Soundso, die ohne Bedeutung sind.« Das war ungeheuer aufregend für mich, daß auch ich den Unterschied zwischen einem großartigen Kunstwerk und einem bloßen Machwerk feststellen konnte, ohne daß ich in der Lage gewesen wäre, ihn zu definieren. Als Wissenschaftler glaubt man stets zu wissen, was man tut, und deshalb mißtraut man gewöhnlich dem Künstler, der sagt: »Das ist großartig«, oder: »Das ist nichts wert«, und einem dann nicht erklären kann, wieso, wie Jerry, als ich ihm diese Zeichnungen brachte. Aber jetzt hatte es mich gepackt: Ich konnte es auch!
    Was den Raffael-Saal anging, so lag das Geheimnis darin, daß nur einige Gemälde von dem großen Meister stammten; der Rest war von Schülern. Und mir hatten die von Raffael gefallen. Das steigerte mächtig mein Selbstvertrauen in Sachen Kunstverständnis.
    Jedenfalls, der Bursche aus dem Zeichenkurs und das flotte Modell kamen ein paarmal in mein Haus, und ich versuchte, sie zu zeichnen und von ihm zu lernen. Nach vielen Anläufen zeichnete ich schließlich ein Bild - es war ein Porträt von ihr -, das ich wirklich gelungen fand, und ich war ganz begeistert über diesen ersten Erfolg.
    Ich hatte jetzt so viel Selbstvertrauen,

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