Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman
Titeln kenne ich nicht einen. Nachdem ich die ganze Liste durchgesehen hatte, stand fest, daß ich kein einziges von den Büchern gelesen hatte. Offenbar bin ich ein Idiot, ein Analphabet! Da waren tolle Bücher aufgeführt, zum Beispiel Von der Freiheit von Thomas Jefferson oder ähnliche Dinge, und es gab auch ein paar Autoren , von denen ich etwas gelesen hatte. Da war ein Buch von Heisenberg, eines von Schrödinger und eines von Einstein, aber das von Einstein hieß Aus meinen späteren Jahren und das von Schrödinger Was ist Leben ? - andere Sachen, als ich gelesen hatte. Ich hatte das Gefühl, daß ich ins Schwimmen geriet und daß ich nicht in diese Konferenz gehörte. Vielleicht konnte ich einfach still dasitzen und zuhören.
Ich gehe zu der ersten großen Eröffnungsveranstaltung, und da steht jemand auf und erklärt, es gebe zwei Probleme, die wir erörtern sollten. Das erste ist ein bißchen nebulös - irgendwas über Ethik und Gleichheit, aber ich verstehe nicht, was genau das Problem ist. Und das zweite lautet: »Wir wollen durch unsere Bemühungen beweisen, daß es unter Vertretern unterschiedlicher Fachgebiete zu einem Dialog kommen kann.« Zu den Teilnehmern gehörte ein Anwalt, der auf internationales Recht spezialisiert war, ein Historiker, ein Geistlicher aus dem Jesuitenorden, ein Rabbiner, ein Wissenschaftler (ich) und so weiter.
Nun, sogleich fängt mein logischer Geist zu arbeiten an: Dem zweiten Problem brauche ich überhaupt keine Beachtung zu schenken, denn wenn es läuft, dann läuft's; und wenn es nicht läuft, dann läuft's eben nicht - wenn's keinen Dialog gibt, über den wir sprechen können, brauchen wir auch nicht zu beweisen und zu erörtern , ob ein Dialog zwischen uns möglich ist! Das Hauptproblem ist also das erste, und das habe ich nicht verstanden.
Ich wollte schon meine Hand heben und sagen: »Würden Sie bitte das Problem genauer definieren!«, aber dann dachte ich: »Nein, der Ignorant bin ja ich; ich höre besser erstmal zu. Ich will ja nicht gleich zu Anfang schon Ärger machen.«
Die Untergruppe, in der ich war, sollte die »Ethik der Gleichheit in Bildung und Erziehung« erörtern. Bei den Sitzungen unserer Untergruppe redete der Jesuit dauernd von der »Fragmentierung des Wissens«. Er sagte etwa: »Das eigentliche Problem im Hinblick auf die Ethik der Gleichheit in Bildung und Erziehung ist die Fragmentierung des Wissens.« Dieser Jesuit schaute zurück ins dreizehnte Jahrhundert, als die katholische Kirche die gesamte Bildung und Erziehung beherrschte und die Welt noch einfach war. Da gab es einen Gott, und von Gott kam alles; alles war geordnet. Aber heute ist es nicht mehr so einfach, alles zu verstehen. Deshalb ist das Wissen fragmentarisch geworden. Ich fand, daß die »Fragmentierung des Wissens« nichts »damit« zu tun hatte, aber »es« war überhaupt nicht definiert worden, und deshalb hatte ich keine Möglichkeit, das zu beweisen.
Schließlich fragte ich: »Worin besteht denn das ethische Problem, das mit der Fragmentierung des Wissens zusammenhängt?« Er gab mir nur sehr wolkige und nebulöse Antworten, und ich sagte: »Das verstehe ich nicht«, und alle anderen meinten, sie verständen es, und dann versuchten sie es mir zu erklären, aber sie konnten es auch nicht!
Darauf forderten mich die anderen in der Gruppe auf, niederzuschreiben, warum ich meinte, die Fragmentierung des Wissens sei kein ethisches Problem. Ich ging zurück in mein Zimmer im Wohnheim und führte sorgfältig, so gut ich konnte, aus, was meiner Meinung nach das Thema »Ethik der Gleichheit in Bildung und Erziehung« beinhalten könnte, und ich gab einige Beispiele für die Probleme, über die wir meines Erachtens sprechen sollten. Durch Bildung zum Beispiel vergrößert man die Unterschiede. Wenn jemand etwas gut kann, versucht man seine Fähigkeit zu entwickeln, und das führt zu Unterschieden oder Ungleichheiten. Wenn Bildung also die Ungleichheit verstärkt, ist das dann ethisch gerechtfertigt? Nach einigen anderen Beispielen führte ich dann weiter aus: Obwohl die »Fragmentierung des Wissens« ein Problem darstelle, weil die Komplexität der Welt es schwierig mache, etwas zu lernen, könne ich, im Lichte meiner Abgrenzung des Themenbereichs nicht sehen, daß die Fragmentierung des Wissens auch nur annähernd etwas mit dem zu tun habe, was möglicherweise die Ethik der Gleichheit in Bildung und Erziehung ausmache.
Am nächsten Tag brachte ich mein Papier mit in die Sitzung,
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