Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman
jüdischen Familie komme, war mir einiges von dem, was sie mir über den Talmud erzählten, bekannt, aber gesehen hatte ich den Talmud nie. Es war sehr interessant. Er hat große Seiten, und der ursprüngliche Text des Talmud steht in einem kleinen Quadrat in der Ecke der Seite, und um dieses Quadrat herum stehen in einer Art L-förmiger Marginalie die von verschiedenen Leuten verfaßten Kommentare. Der Talmud hat sich weiterentwickelt, und alles ist, sehr behutsam, in einer Art von mittelalterlichem Denken wieder und wieder erörtert worden. Ich glaube, die Kommentare wurden um das dreizehnte, vierzehnte oder fünfzehnte Jahrhundert herum abgeschlossen - moderne Kommentare gibt es nicht. Der Talmud ist ein erstaunliches Buch, ein großartiges, umfassendes Potpourri; triviale Fragen, schwierige Fragen - zum Beispiel Aufgaben der Lehrer und wie man lehren soll - und dann wieder Trivialitäten und so weiter. Die Studenten erzählten mir, der Talmud sei nie übersetzt worden, was ich merkwürdig fand, da das Buch so wertvoll ist.
Eines Tages kamen zwei oder drei von den jungen Rabbinern zu mir und sagten: »Es ist uns klar, daß wir nicht studieren können, um in der modernen Welt Rabbiner zu werden, ohne etwas von der Wissenschaft zu verstehen, deshalb möchten wir Ihnen einige Fragen stellen.«
Natürlich gibt es tausend Orte, an denen man sich über Wissenschaft informieren kann, und ganz in der Nähe war die Columbia University, aber ich wollte wissen, für welche Fragen sie sich interessierten.
Sie sagten: »Also, zum Beispiel, ist Elektrizität Feuer?«
»Nein«, sagte ich, »aber... was ist das Problem?«
Sie sagten: »Im Talmud steht, daß man am Sabbat kein Feuer machen darf, deshalb möchten wir wissen, ob wir am Sabbat elektrische Geräte benutzen dürfen.«
Ich war entsetzt: Sie interessierten sich nicht im geringsten für Wissenschaft! Die Wissenschaft kam für ihr Leben nur insoweit in Betracht, als sie dadurch vielleicht den Talmud besser interpretieren konnten! Für die Außenwelt, für die Naturerscheinungen interessierten sie sich nicht; sie waren nur daran interessiert, irgendeine Frage zu lösen, die im Talmud aufgeworfen wurde.
Und dann will ich eines Tages - ich glaube, es war ein Samstag - mit dem Fahrstuhl nach oben fahren, und es steht jemand vor der Tür. Der Fahrstuhl kommt, ich gehe hinein, und er geht mit. Ich frage: »Welcher Stock?« und will schon auf einen der Knöpfe drücken.
»Nein, nein«, sagt er, »ich muß doch für Sie drücken.«
»Was?«
»Ja! Die Jungs hier dürfen doch am Sabbat nicht auf die Knöpfe drücken, deshalb muß ich es für sie machen. Sehen Sie, ich bin kein Jude, und deshalb ist nichts dabei, wenn ich es tue. Ich stehe im Fahrstuhl, und sie sagen mir, in welches Stockwerk sie wollen, und dann drücke ich für sie auf den Knopf.«
Also, das ärgerte mich wirklich, und deshalb beschloß ich, die Studenten in eine logische Diskussion zu verwickeln. Ich war in einem jüdischen Haus aufgewachsen, so daß ich die spitzfindige Logik kannte, die ich anwenden mußte, und ich dachte: »Das wird lustig!«
Mein Plan sah ungefähr so aus: Als erstes wollte ich fragen: »Ist der jüdische Standpunkt ein Standpunkt, den jeder Mensch einnehmen kann? Denn wenn das nicht der Fall ist, handelt es sich gewiß nicht um etwas, das für die Menschheit wirklich von Wert ist... und so weiter und so weiter.« Und dann würden sie antworten müssen: »Ja, der jüdische Standpunkt ist für jeden Menschen gut.«
Dann wollte ich sie noch ein bißchen mehr in Verwirrung bringen, indem ich fragte: »Ist es ethisch gerechtfertigt, wenn ein Mensch einen anderen etwas tun läßt, was für ihn selbst ethisch nicht zu rechtfertigen wäre? Würdet ihr beispielsweise einen anderen Menschen für euch stehlen lassen?« Und dann wollte ich sie ganz langsam und ganz vorsichtig in die Enge treiben, bis sie in der Falle saßen!
Und was ist passiert? Das sind Leute, die studieren, um Rabbiner zu werden, nicht? Sie waren zehnmal besser als ich! Sobald sie merkten, daß ich sie in die Zange nehmen konnte, drehten und wanden sie sich - ich weiß auch nicht mehr, wie - und schon waren sie frei! Ich dachte, ich hätte eine tolle Idee gehabt - pfff! Im Talmud war das seit Urzeiten erörtert worden! Sie steckten mich in die Tasche wie nichts - und kamen ungeschoren davon.
Schließlich versuchte ich sie zu beruhigen, daß der elektrische Funke, der sie beschäftigte, wenn sie die Fahrstuhlknöpfe
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