Sie fielen vom Himmel
…«
Er spürte, wie der Körper unter ihm sich streckte. Die Hand Jürgens fiel von seiner Schulter herab und schlug auf den zementierten Kellerboden. Noch einmal hörte er den Atem, leise pfeifend, wegwehend in ein Nichts.
Mit beiden Händen streichelte er über das schmale, jetzt kantig gewordene Gesicht seines Jungen und drückte mit dieser Zärtlichkeit die großen, starren Augen zu. Er sah auf den langgestreckten Körper und auf das gelbe Totenantlitz, das ihm jetzt fremd vorkam, unnahbar, unantastbar. Mit spitzen Fingern legte er die Zipfel der Zeltplane über den Toten und bedeckte den Körper.
Draußen auf dem Flur traf er Oberst Stucken. Das neue Eichenlaub blinkte schwach.
»Ich wollte gerade zu Ihnen, Breyle!« rief er. »Stimmt es: Der deutsche Offizier, der die Partisanen anführte, ist bei Ihnen?«
»Ja.«
Breyle starrte über den Kopf Stuckens hinweg in die Felsen der Albaneta.
»Sie haben das Schwein schon verhört?!«
»Nein! Er ist soeben gestorben.«
»Schade! Ich hätte ihn gerne an die Wand gestellt!« Stucken hob die Schultern. »Haben Sie wenigstens seinen Namen erfahren können?«
»Nein! Er starb gleich nach der Einlieferung. Papiere hat er nicht bei sich.«
»Schade! Jammerschade! Ich hätte der Nachwelt gerne diesen Namen erhalten!« Oberst Stucken klopfte Breyle auf die Schulter. »Ihre Leute haben blendend gearbeitet, Breyle. Ich werde Ihre Beförderung wärmstens befürworten. Und den Kerl da« – er zeigte auf die Türe, hinter der Jürgen in seiner Zeltplane lag – »verscharren Sie in den Felsen! Von mir aus stellen Sie auch ein Kreuz darauf … immerhin war er ein Christ.«
»Ja, Herr Oberst.«
Breyle stand vor dem Keller. Der Abendwind kam von Süden. Er war warm. Der Frühling zog über das Land. Er empfand es nicht … er sah nicht mehr die Berge, den brennenden Abendhimmel, die rotschimmernden Felsen, er spürte den Wind nicht mehr und die streichelnde Wärme. Er war tot, leer allen Gefühls, eine Schlacke, so leicht wie eine Feder.
Von der Albaneta herauf keuchte ein Mann. Er blutete und schrie durch die Stellungen wie ein Irrer. »Panzer! Alarm! Panzer von Höhe 593! Alarm!«
Oberst Stucken stürzte aus dem Keller. Über den verbreiterten Saumpfad rollten sechs leichte amerikanische Panzer auf die Divisionsstellung zu. Sie schossen nach allen Seiten und warfen die Fallschirmjäger in Deckung.
»Hierhin« brüllte Stucken Breyle zu. »Kommen Sie hierhin in die Felsen.«
Von der Breyle stand. Er sah die Panzer heraufkommen, aber selbst das erfaßte er nicht mehr. Instinktmäßig rannte er fort, riß einem Pionier eine T-Mine aus der Hand und keuchte, wie ein verfolgter Hase Zickzack laufend, den Panzern entgegen.
»Breyle!« brüllte Stucken. »Sind Sie verrückt?!« Er sprang aus seiner Deckung hervor und rannte dem Major nach. Ein Feuerstoß des vorderen Panzers warf ihn auf die Erde, er kroch in einen Granattrichter und starrte zu Breyle hinüber, der wie ein Irrer auf die Panzer zulief, sich hinwerfend, aufspringend, in Trichter rutschend, die T-Mine vor sich herschleppend.
»Breyle!« schrie Stucken grell. »Sie haben doch keine Ahnung von T-Minen! Bleiben Sie! Bleiben Sie!«
Mit keuchenden Lungen lag Breyle in einem flachen Loch. Er sah die Panzer auf sich zukommen, aus ihren Türmen spuckte der Tod durch die Gegend. Hinter ihm krachte die erste Pak, MG-Kugeln prallten von der Panzerung ab und surrten pfeifend als Querschläger durch die Luft.
Ein Breyle stirbt nicht feig, schrie er sich zu. Ein Breyle stirbt als Held! Seit fünfhundert Jahren sind wir Soldaten – ich bin der letzte Breyle. Der allerletzte!
Der erste Panzer rollte an seinem Loch vorbei. Jetzt war er im toten Winkel der MGs … der Turm war vor ihm, träge drehte er sich, nach allen Seiten feuernd.
Mit einem Satz sprang er aus seinem Loch. Er schob die T-Mine unter den Turmansatz, zog die Reißleine ab und schloß die Augen. Ein Zittern durchlief seinen Körper, ein Schüttelfrost, der seine Knochen durcheinanderwirbelte.
»Deckung!« brüllte Stucken. »Breyle – Deckung!« Er hörte es nicht mehr … Ein ohrenbetäubender Krach zerriß sein Trommelfell … neben ihm flog die Kuppel des Panzers in die Luft, schwarzer Qualm hüllte ihn ein. Ein großes Eisenstück der zerplatzenden Mine fuhr in seine Brust … wie ein heißes Messer durchschnitt es seinen Körper und trennte sein Herz in zwei Teile. Heiß wurde es in ihm, unerträglich heiß. Jürgen, dachte er noch. O Jürgen
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