Sie fielen vom Himmel
diese armen Verwundeten nach. Ich glaube, kaum einer ist so schwer verwundet, wie sie da vor uns jammernd durch die Berge ziehen. Immerhin ein guter Gedanke, aus der Einschließung herauszukommen, wenn auch gegen die Satzungen des Roten Kreuzes. Da – sehen Sie mal!«
Wieder erschien eine kleine Gruppe Inder, fahnenschwenkend, verwundet. Dicke, weiße Verbände. Einige winkten sogar zu den deutschen Stellungen hinüber, während sie gemütlich zur Rocca Janula hinüberwechselten.
»Scheinen alle die gleichen Verwundungen zu haben«, stellte Leutnant Mönnig fest. »Lassen Sie doch das Feuer eröffnen, Herr Major. Das ist ja Betrug!«
»Aber warum denn, Mönnig?« v. Sporken zündete sich eine Zigarette an. »Seien wir doch ritterlich. Die armen Kerle haben Angst vor dem Sterben – das haben wir auch, seien wir nur ehrlich. Warum sie jetzt zusammenschießen, wo sie so vertrauensselig auf unsere Ritterlichkeit an uns vorbeimarschieren. Seien wir stolz, daß sie uns Deutsche für so ehrenhaft halten, nicht auf Verwundete zu schießen.«
»Oder so dumm, Herr Major.«
»Auch das! Das ist im Kriege fast das gleiche!« Er stockte, trat durch einen Mauerriß ins Freie und legte die Hand an den Helm. Vor ihm, vielleicht hundert Meter entfernt in den Felsen, stand ein britischer Offizier und hatte die Hand dankend an den Helm gelegt. Hinter ihm sickerten die letzten Inder zur Rocca Janula hinüber.
»Thank you, comrade!« rief er zu v. Sporken hinüber. »The war is a crime!«
v. Sporken nickte und winkte. »Mach's gut!« sagte er leise. »Du sprichst mir aus der Seele.«
Er wartete, bis der britische Offizier, noch einmal zurückwinkend, in den Felsen verschwand. Die Höhe 435 war leer. Der Krieg konnte weitergehen.
v. Sporken trat in die Deckung zurück. Leutnant Mönnig sah ihn mit weit offenen Augen an. »Die Gentlemen des Krieges«, bemerkte er ein wenig sarkastisch. Der Major nickte. Er warf die aufgerauchte Zigarette in die Trümmer. »Es ist das letzte Augenzwinkern der geretteten Moral. Wenn auch dieses stirbt, wäre es besser, erst gar nicht mehr von diesem verfluchten Berg herunterzukommen. Wir würden uns später schwer wieder in einer mühsam aufgebauten Ordnung zurechtfinden können.«
Theo Klein und Heinrich Küppers lagen hinter ihrem MG und verfolgten die ›verwundeten‹ Inder zur Rocca Janula. Von der Albaneta her krachte es wieder … einige Panzer versuchten erneut, die Stellung aufzurollen und scheiterten, wie die beiden Versuche vorher, an den Einzelkämpfen der Fallschirmjäger.
Im Lazarett saß Renate Wagner am Bett des irren Mönches Carlomanno und fütterte ihn wie ein kleines Kind. Noch immer lebte der achtzigjährige Greis in der kleinen Zelle hinter dem Zimmer Dr. Pahlbergs … er hatte sich hier eingewöhnt und glaubte in einer neuen Zelle zu leben.
Jeden Morgen und den ganzen Tag hindurch verrichtete er liegend seine Gebete … an den Meßtagen sang er mit dünner, heller Stimme die Lieder, die er sonst in der Basilika gesungen hatte, und senkte den Kopf auf die gefalteten Hände, wenn der Segen kam. Danach schlief er vor Erschöpfung, aber glücklich lächelnd ein. Er lebte in einer herrlichen, fernen, lichten Welt und sah nicht die Dumpfheit um sich, hörte nicht das Krachen der Einschläge, nicht das Stöhnen der Verletzten aus den Nebenräumen.
Wenn Renate kam und ihm das Essen brachte, richtete er sich etwas auf und ließ sich die Speisen mit dem Löffel zwischen die zitternden Lippen schieben. Dann segnete er Renate jedesmal und sprach ein Gebet in einem alten Latein. Am 5. Mai starb er … ganz ruhig, lächelnd … er schlief hinüber zu Gott, die Hände gefaltet, das Brevier zwischen den dürren, knochigen Greisenfingern. Nur an dem Fehlen des leise röchelnden Atems erkannte Dr. Pahlberg, daß er nicht schlief, sondern gestorben war.
Müller 17 und Josef Bergmann schaufelten im Klostergarten ein Grab. Dort begruben sie Fra Carlomanno, v. Sporken warf die ersten Hände Erde über den schmalen Körper, Heinrich Küppers, der Tischler, zimmerte aus Balkenresten der zerstörten Abtei ein großes Kreuz, das Theo Klein am Kopf des Grabes in die Erde rammte. Als Hauptmann Gottschalk, ein gläubiger Katholik, das Gebet sprach, faltete sogar Theo Klein die Hände und senkte den Kopf. Es war ein Anblick, der nicht nur die Gruppe Maaßen, sondern die ganze 3. Kompanie verblüffte, einschließlich v. Sporken, der während des Gebetes immer zu Klein hinüberschielte, als könne er
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