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Sie haben mich verkauft

Sie haben mich verkauft

Titel: Sie haben mich verkauft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Kalemi
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folgten wir ihm, bis er stehen blieb, den Deckel einer Kiste hochhob und den Inhalt ausräumte. Ich starrte ins Dunkle und sah, dass die Kiste voller Radkappen war.
    »Klettert rein«, sagte der Mann.
    Mein Herz raste, als ich hineinschaute, aber Anna schien sich keine Sorgen zu machen, als sie über den Rand der Kiste stieg, also musste ich ihr folgen. Mit Gesten gab der Mann uns zu verstehen, dass wir uns hinlegen sollten, und wir rollten uns zusammen wie Babys im Mutterleib – Nase an Nase, Stirn an Stirn –, als er anfing, die Kiste wieder zu füllen.
    Panik stieg in mir auf, als wir so zugepackt wurden. Es war staubig. Ich bekam keine Luft, und ich drehte den Kopf ein paar Zentimeter, um Nase und Mund in meiner Jacke zu vergraben. Aber ich bekam mehr und mehr Angst, als das Gewicht der Radkappen auf uns drückte. Ich spürte Annas Atem auf meinem Gesicht, und war mir sicher, dass wir auf diesem beengten Raum bald überhaupt keine Luft mehr bekommen würden. Hier würde ich schließlich sterben. Das Blut pulsierte lauter und lauter in meinen Ohren, als ich anfing zu weinen. Hier würde ich nie wieder rauskommen!
    Irgendwann später hörte ich den Motor des Lastwagens starten, das Geräusch erfüllte die Luft. Wir fuhren. Wir waren auf dem Weg nach England. Aber würde uns am Ende doch einer versteckt in unserer hölzernen Gebärmutter finden?
    Die Fahrt war die schrecklichste Reise meines Lebens. Sie schien endlos zu dauern. Es gab nichts zu essen und zu trinken, keine Möglichkeit, auf die Toilette zu gehen. In unserem winzigen Gefängnis konnten wir nur daliegen und hoffen, dass man uns rausließ, ehe wir starben. Das Dröhnen des Motors und der Geruch nach Benzin und Metall waren Übelkeit erregend, und die einzige Möglichkeit, das zu ertragen, bestand darin, in eine Art Bewusstlosigkeit, in einen Halbschlaf zu fallen. Lebhafte Träume zogen an mir vorbei, Geschichtenvon Entsetzen und Verwirrung, aus denen ich abrupt aufschreckte und merkte, wo ich mich befand, aber bald sank ich wieder in die seltsame Welt meiner Vorstellungen. Das Einzige, dessen ich sicher sein konnte, war die Tatsache, dass ich mich noch weiter von meinen Kindern entfernte.
    Einmal wachte ich abrupt auf und merkte, dass der Motor nicht mehr lief. Ich hörte undeutliche Stimmen, und ich war sicher, dass ich in der Nähe das Geräusch von Wasser hörte. Waren wir auf einer Fähre oder einem Schiff? Jetzt fragte ich mich, ob wir wohl über Bord gehen und in unserem winzigen Sarg ertrinken würden. Wie lange war ich schon hier? Würde ich je wieder Tageslicht sehen?
    Zwischen Anna und mir schien kein Zentimeter Platz zu sein. Die Luft war abgestanden und feucht, und wir drückten uns gegeneinander; unsere Kleidung war heiß und klebrig vor lauter Schweiß. Wir sprachen nicht miteinander, ich wusste nicht einmal, ob sie wach war; allerdings spürte ich ihren Atem auf meinem Gesicht. Was hätten wir sagen sollen? Nach einer Weile hörte ich ein anderes Motorengeräusch, allerdings weiter weg, und das dauerte mehrere Stunden. Dann kam der Lastwagen mit einem Dröhnen, das mich zusammenschrecken ließ, stotternd wieder zum Leben, und wir fuhren weiter.
    Ich hatte alles Gespür für Raum und Zeit verloren. Allmählich verlor ich sogar den Glauben daran, dass diese Reise je enden würde, als der Motor plötzlich ausging. Stimmen und laute Geräusche kamen näher und immer näher, bis der Deckel der Kiste hochgehoben und die Radkappen ausgeladen wurden, und wir kletterten aus einem Loch hinaus, das in die eine Seite der Lastwagenplane geschnitten worden war. Wieder einmal standen wir bei Nacht auf dem Parkplatz einer Autobahnraststätte.
    »Wir fahren nach Birmingham«, verkündete Ardy.Ich starrte auf eine junge Frau, die in einem Schaufenster stand, als wir an einer Ampel hielten. Sie hatte einen Ring durch die Lippe gezogen, schwarzes Augen-Make-up und Tätowierungen überall auf den Armen. Ihre Haare waren blau, rot, gelb und grün.
    »Was für ein Laden ist das?«, fragte ich Ardy.
    »Ein Tattoo-Studio.«
    »Ein ganzer Laden nur für so was?«
    »Ja, klar. Wir sind hier in England.«
    Ich konnte mich kaum losreißen von der Welt dort draußen. Häuser standen dicht an dicht, ohne einen Zentimeter Platz dazwischen, alte Männer gingen an Stöcken, Frauen schoben Kinderwagen, und dann erblickte ich Leute, die aussahen, als kämen sie geradewegs aus einem Bollywood-Film. Und da war diese junge Frau in dem Schaufenster. Wie ein Hahn sah sie aus

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