Sie haben mich verkauft
ersten Nacht hatte ich keinen. Es war so ruhig, dass nur ein oder zwei Mädchen überhaupt zu tun hatten. In der darauffolgenden Nacht war es dasselbe. Ardy war wütend, als er kam und feststellen musste, dass ich in den zwei Nächten, die ich inzwischen hier war, nichts verdient hatte. Tagsüber wartete ich einfach auf den Abend – im Gegensatz zu manchen Mädchen hier durfte ich nicht raus und musste in meinem Zimmer bleiben.
Die Abende waren gar nicht so schlecht. Eines gefiel mir an diesem Lokal – in den Stunden, in denen wir auf Kunden warteten, durften wir trinken und tanzen, und wenn mir die Musik durch den Kopf hämmerte und mir der Wodka ins Blut ging, vergaß ich beinahe, wo ich war. Einen kurzen Moment lang schloss ich die Augen und dachte an die Zeit mit Genia, als ich noch frei gewesen war. Aber dann hörte die Musik auf, ich musste nach oben in mein kleines Zimmer, und ich wusste, ich war wieder im Gefängnis.
Die Geschäfte gingen mäßig, und ich hatte kaum Freier. Ardy wurde immer wütender, wenn er meinen Verdienst abholen kam und feststellen musste, dass er nur wenig mitnehmen konnte.
»Was treibst du hier, du fette Kuh?«, schrie er mich immer wieder an, wenn er in der Bar auf mich wartete. »Du brauchst dich doch bloß zu verkaufen, aber nicht mal das kannst du. Du bist zu gar nichts gut.«
Ein paar Tage nach meiner Ankunft hier erschien ein neues Mädchen mit zwei Männern, die Türkisch mit der Chefin sprachen, als sie mit ihr debattierten. Ich verstand die Männer, und mir wurde gleich klar, dass das Mädchen so eine war wie ich.
»Sie darf hier nicht raus«, sagte der eine. »Und telefonieren darf sie auch nicht. Das ganze Geld, das sie verdient, geht an uns.«
Später fand ich das Mädchen weinend auf der Toilette.
»Was ist denn los mit dir?«, fragte ich auf Russisch, aber sie verstand mich nicht, also versuchte ich es auf Italienisch. Die Sprache beherrschte sie ein bisschen, und so konnte sie mir erzählen, dass sie Anna hieß und aus Rumänien stammte.
»Ich will nicht reden«, sagte sie und vergrub das Gesicht in einem Handtuch, aber ihre Schluchzer konnte sie nicht unterdrücken.
»Wieso weinst du denn?«, fragte ich. »Vielleicht kann ich dir ja helfen.« Ich wusste genau, was mit ihr war. Ich sah, wie verängstigt sie war, wie in die Enge getrieben. Sie war wie ein Tier im Käfig, genau wie ich. »Du bist nicht die Einzige, die sich in dieser Lage befindet, weißt du«, sagte ich sanft.
Mit angstvollem Blick sah Anna mich an.
»Ich habe deinen Zuhälter über dich reden hören. Ich weiß, du bist eine Gefangene.«
»Er ist nicht mein Zuhälter«, sagte sie hastig.
»Mach dir keine Sorgen, mir musst du nichts vormachen. Ich weiß, was hier läuft.«
»Bitte nicht«, flüsterte sie völlig verschreckt. »Du kriegst noch Probleme, wenn du mit mir redest. Und die bestrafen mich, wenn sie herausfinden, dass ich dir irgendwas erzählt habe.«
»Es ist kein Mensch hier, und wer sollte erfahren, was wir miteinander geredet haben? Ich sage ja bloß, ich bin in derselben Situation wie du. Ich habe einer Freundin vertraut, und jetzt bin ich hier, und weg komme ich nicht, weil ich Kinder habe, und die wären in Gefahr, wenn ich abhaue. Ich weiß, du bist unglücklich, aber du musst durchhalten. Versuch doch, mit den anderen Mädchen zu reden, vielleicht schließt du ja Freundschaft mit einer. Ohne eine Freundin wird es dir an einem Ort wie diesem nicht gut gehen, und hier ist es immer noch besser als auf der Straße. Wenigstens hast du es warm und bist in Sicherheit.«
»Können wir nicht fliehen?«, fragte sie mit weit aufgerissen Augen und voller Hoffnung.
Beinahe hätte ich gelacht, als ich sie so ansah. Sie war durch Prügel noch nicht gefügig gemacht worden, so wie ich. »Wir haben Zuhälter«, sagte ich. »Und die lassen uns nirgends hin. Weißt du das noch nicht? Sich zu wehren ist völlig sinnlos. Du musst einfach akzeptieren, was du jetzt bist, und hoffen, dass es eines Tages aufhören wird.«
An dem Abend tauchte Ardy auf, um sein Geld zu holen. Er kam zu mir rüber und steckte sich die Geldscheine in die Tasche. »Das ist heute deine letzte Nacht hier«, sagte er beiläufig. »Wir sind bereit für die nächste Phase.«
»Die nächste Phase?«, echote ich. »Was heißt das? Wo gehen wir hin?« Ich überlegte, welche neuen Qualen Ardy wohl für mich im Sinn hatte.
»Habe ich es dir noch nicht erzählt?« Fröhlich lächelte er. »Wir gehen nach
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