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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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erzählen. Der fängt so zu zittern an, dass er alles verrät. Dann ist es mit dem Boot vorbei, und wir können uns wieder am Strand abschinden.«
    Memilian war ein kleiner, schüchterner Novize mit abstehenden Ohren. Vor einigen Jahren war er aus dem Frankenreich in die Klosterschule gekommen und teilte seit drei Monaten die Nachbarzelle mit einem sächsischen Mönch aus Britannien. Noch immer sprach er Latein besser als Irisch und sah oft traurig aus, als fühle er sich einsam. Auch Padraich war es lange nicht gelungen, seine Verschlossenheit zu durchdringen. Erst in den letzten Wochen hatte sich die Mauer des Schweigens einen Spaltbreit geöffnet und der blonde Junge begonnen, von seiner fernen Heimat zu erzählen.
    Während Kilian fortfuhr, von dem Boot zu schwärmen, schweiften Padraichs Blicke über die Küste, die grünen Hügel und die dunklen Mäuerchen, die sie zerteilten. Er spürte, wie sehr er dieses Land liebte und wie schwer es ihm fallen würde, es jemals zu verlassen, um den weiten Weg zu den Heiden anzutreten. Aber wenigstens würde er gemeinsam mit seinem Freund Kilian aufbrechen, was immer der alte Grellan auch gesagt haben mochte.
    ***
    Diese Nacht schlief er unruhig und hatte einen seltsamen Traum, in dem er zu der schäbigen Fischerhütte ging. Brigid lehnte in der schwarzen Türöffnung und musterte ihn – herausfordernd, fast spöttisch, aber zugleich auch verlockend. Irgendwo in der Nähe war auch Kilian. Doch es war der kräftige, rotblonde Padraich, den die Frau mit leicht schräg gehaltenem Kopf anlächelte. Er ging auf sie zu, und sie strich ihm zart mit der Linken über das sommersprossige Gesicht, während sie mit der Rechten ihr hochgestecktes Haar öffnete, bis rote Strähnen wie Wellen über ihre Schulter flossen. Sie nahm seine Hand, sah schmunzelnd auf die zwei gleich langen Finger und zog ihn in die Dunkelheit des Raumes. Ein letztes Mal wandte er sich noch um. Betroffen gewahrte er Kilian, der zwischen den Bienenstöcken hervorspähte, dann fiel die Türe zu. Die Frau umschlang ihn, presste ihren Körper an den seinen, und er spürte, wie ihn die Begierde überwältigte. Ohne Gegenwehr sank er mit ihr auf das Strohlager in der Ecke, um sich der Lust hinzugeben.
    Am nächsten Morgen, als die Glocke zum Frühgebet läutete, schreckte er verstört aus seinem Traum und beschloss schuldbewusst, heute fünfzig Psalter extra zu beten und besonders hart zu arbeiten.
    Als er kurze Zeit später gemeinsam mit Kilian und Memilian, der sie heute wieder begleiten sollte, den Karren über den Strand schob, war der blaue Himmel nicht mehr so klar wie gestern, sondern von zerfetzten Wolkenstreifen überzogen.
    Memilian starrte das Boot an, sagte aber nichts, als Kilian ihm bedeutete, beim Tragen zu helfen. Die Ebbe hatte vor einigen Stunden eingesetzt und der Sog des abfließenden Wassers trug sie aus der Bucht, doch sobald sie um die Landzunge bogen, wurden die Wellen stärker, so dass die Weidenspanten des alten Bootes knarzten, als beklage es sich über eine lange nicht mehr gewohnte Plackerei. Während die anderen paddelten, kauerte Memilian am Bootsrand und stützte sich auf dem kalten Leder ab, das sich unter seinen gespreizten Fingern bewegte, als wände sich darunter ein lebendiges Wesen. Mit einem Male hob er die Hand, rief aufgebracht: »Aqua! Aqua!« und wies auf die Bordwand. Kilian drehte den Kopf, kniff die Lippen zusammen und musterte die Stelle, an der ein dünner Strahl aus einer Naht quoll. Zum Glück hatten sie den tangbedeckten Felsen schon fast erreicht, der jetzt fast doppelt so groß wie am Vortag aus dem Wasser ragte. Sie zogen das Boot ans Ufer, Kilian untersuchte die undichte Stelle und meinte kopfschüttelnd: »Das muss genäht und neu eingefettet werden, sonst reißt es weiter auf und wir saufen auf der Rückfahrt voll beladen ab.«
    »Wie können wir das hier tun?«, fragte Padraich besorgt, der sich auf dem etwa dreißig Schritt langen Eiland umsah.
    »Hier geht das nicht«, stimmte Kilian ihm zu, »aber der Wind steht günstig. Ich bin schnell an Land, gehe zur Hütte und frage …«, bei diesen Worten zögerte er kurz, um energisch fortzufahren, »na ja, hole, was ich brauche und bin vor der Flut wieder zurück. Ihr könnt derweil so viel Tang sammeln, dass wir für zwei Tage genug haben. Einverstanden?«
    Die beiden anderen nickten und sahen zu, wie Kilian in das Boot stieg, das Segel hisste und bald hinter der Landzunge verschwunden war. Dann machten sie sich

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