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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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Bein an ein Pferd gebunden wurde, das sie unter dem Gejohle des Volkes zu Tode schleifte.
    Padraichs Blicke wanderten indes immer unruhiger über das aufgewühlte Meer, über die Umrisse der Insel, von der allenfalls noch ein Drittel aus den Fluten ragte.
    Jetzt ließ sich auch Memilian nicht länger ablenken. »Wo bleibt denn Kilian?« Er packte den Älteren am Ärmel. »Er wird uns doch nicht vergessen haben?«
    »Nein, nein, sicher hat das Ausbessern nur länger gedauert«, antwortete Padraich beschwichtigend. Aber in seinem Innersten nagte ein anderer Gedanke, fraß die Eifersucht und keimte Angst auf. In diesem Augenblick traf eine Gischtflocke sein Gesicht, so dass er sich das Salzwasser aus den brennenden Augen wischen musste.
    »Vorsicht!«, rief Memilian kurz darauf. Eine große Welle brandete über den Felsen, durchnässte die Sandalen der Jungen, schoss in den Tanghaufen und schwemmte einige Handvoll weg. Die Jungen erhoben sich hastig, knieten sich auf den Haufen und bemühten sich verzweifelt, den Tang mit beiden Händen festzustopfen. Schließlich stand Padraich auf, stützte sich auf den erhöhten Mittelfelsen und spähte über die graue Wasserfläche.
    »Da kommt er!«, schrie er Memilian zu.
    Ein kleines Boot bog um die Spitze der Halbinsel, darin ein junger Mann, der mit heftigen Bewegungen paddelte. Die Jungen sprangen auf, winkten und brüllten, obwohl sie wussten, dass Kilian sie auf die Entfernung kaum hören konnte. Unaufhaltsam stieg das Wasser, immer häufiger brandeten Wogen an den Tanghaufen und rissen Teile davon mit sich.
    »Wenn er nicht bald da ist«, japste Memilian, »war unsere Arbeit umsonst. Wir kommen mit leeren Händen heim und müssen zu Molua.«
    Padraich nickte, doch als er sah, wie langsam sich das Boot an die schrumpfende Insel herankämpfte, begann er, sich vor ganz anderen Dingen als den Strafen des Seniors zu fürchten.
    »Heiliger Christophoros«, wimmerte Memilian, während eine Welle nach der anderen über den Tanghaufen schwappte und die Jungen durchnässte. »Hilf uns aus den Fluten!«
    »Auf den Felsen«, befahl Padraich, »er schafft es nicht rechtzeitig, um unsere Ernte zu retten.«
    Sie kletterten auf den erhöhten Mittelteil, der etwa drei Fuß über den Rest der Insel ragte, die schon fast zur Gänze von den schäumenden Fluten überspült wurde. Das Curragh war näher gekommen, Kilian schien wie von Sinnen zu paddeln, aber Padraich ahnte, dass es noch eine Stunde dauern konnte, bevor er sie erreichen würde. Und in dieser Stunde würde das Meer den Felsen verschlungen haben …
    »Kannst du schwimmen?«, fragte er Memilian, der stumm, mit weit aufgerissenen Augen, den Kopf schüttelte. »Ich auch nicht. Lass uns beten.«
    Halblaut murmelten sie ihre Gebete, flehten sämtliche Heilige an, die sie kannten und gelobten, in Zukunft täglich 100 statt der vorgeschriebenen 64 Psalmen zu sprechen – vergeblich. Immer höher stieg das Wasser, schäumte bald zwischen ihren Füßen hindurch, so dass sie Mühe hatten, nicht auf dem glitschigen Felsen auszurutschen. Das Curragh war jetzt vielleicht noch hundert Schritte entfernt, aber Kilian schien kraftlos und seine Bewegungen schwächer.
    »Schneller, beim heiligen Brendan, streng dich an!«, schrie Padraich durch den Wind. Er und Memilian standen nun eng umklammert auf dem Felsen, den das Wasser bereits kniehoch bedeckte. Einzelne Wellen durchnässten sie bis über die Hüften, und die gurgelnden Fluten schienen mit den zwei zitternden Menschen zu spielen, ja, sich einen grausamen Spaß daraus zu machen, immer stärker an ihnen zu zerren, um sie irgendwann von ihrem unsicheren Halt herabzureißen.
    »Darf ich dich um etwas bitten?« Memilians Stimme klang schwach gegen das Tosen. Padraich blickte zu dem kleinen Novizen herab, dessen Kinn an seine Brust gepresst war, und das Herz wurde ihm schwer. »Ja, was denn?«
    »Wenn Gott mich das hier nicht überleben lässt«, die Stimme stockte, »könntest du dann dafür sorgen, dass meine Eltern Nachricht bekommen?«
    »Memilian, wir bestehen diese Prüfung gemeinsam!«, erwiderte Padraich, doch wider besseres Wissen, denn er hatte am Morgen den seltsamen Nebel vor dem Gesicht des Novizen wahrgenommen.
    Der Junge achtete nicht auf seinen Einwand. »Mein Vater ist der Diakon Memilian, bei der Kirche ›Zu den Goldenen Heiligen‹. Sie ist rund und liegt nördlich der Stadtmauer von Colonia. Sag ihm und meiner Mutter, dass ich sie lieb habe, und dass wir uns im Himmel

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