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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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viele hohe kaiserliche Beamte drückten ein Auge zu. Als dann vor knapp einem Jahrhundert Tiberius II. Kaiser wurde, soll es zu Übergriffen der Hellenen auf die Christen gekommen sein. Ob es so war«, sagte Kallinikos, als er Pelagias fragenden Blick bemerkte, »weiß ich nicht. Auf jeden Fall schickte der Kaiser einen brutalen Beamten namens Theophilus. Der ließ jeden, der als Mitglied der Oberschicht des Hellenentums verdächtig war, ergreifen und foltern. Auch mein Urgroßvater entging ihm nicht. Nachdem man ihm lange genug die Glieder mit glühenden Eisen gebrannt, mit Zangen zerquetscht und mit Messern zerschnitten hatte, schrie er die Namen der anderen Anhänger ihres Kultes heraus.«
    »Oh Gott, ich verstehe«, erwiderte Pelagia erschüttert. »Und wie ging es weiter?«
    »Theophilus' Schergen, die nach Antiochia galoppierten, gelang es, einen geheimen Zeusgottesdienst auszuheben. Der Oberpriester Rufinus konnte sich einen Dolch ins Herz stoßen. Viele andere jedoch wurden gefasst, gefoltert und bezichtigten wiederum andere. So fraß sich die Anklage immer weiter, bis nach Konstantinopel, während der christliche Pöbel tobte und täglich neue Opfer forderte. Aber all das Entsetzliche zu erzählen, würde zu lange dauern. Verstehst du jetzt«, schloss Kallinikos, »warum ich glaube, das Christentum sei mit Christus gestorben?«
    »Ja, das verstehe ich. Aber diese Verfolgungen sind ein Jahrhundert her.«
    »Bist du sicher, dass dergleichen heute nicht mehr vorkommen könnte? Nur, weil der Kaiser nicht mehr so viele Provinzen beherrscht?«
    »Nein«, antwortete sie nach kurzem Zögern, »das bin ich nicht. Aber was denkst du, wird mit uns geschehen, sollte Konstantinopel von den Sarazenen erstürmt werden? In Syrakus habe ich erlebt, was das bedeutet. Vor allem für Frauen …«
    Sie sah Kallinikos in die Augen, bis dieser den Blick senkte und murmelte: »Ja, ich weiß. Aber muss ich darum denjenigen helfen, die mich um meines angeblichen Seelenheiles willen foltern würden? Müsste sie das nicht in ihrem Wahn bestätigen? Soll meine Erfindung dazu dienen, mir unbekannte Menschen zu verbrennen?«
    Lange sahen sich beide stumm an, bis Pelagia aufstand und zur Türe ging. »Das musst du mit deinem Gewissen abmachen. Meine Meinung kennst du.«
    ***
    Zwei Stunden später pochte es an die Türe des Hauses. Kallinikos öffnete und Pelagia hörte ihn aufschreien. Ein Schrei des Schmerzes, wie sie ihn dem stets ruhigen, in sich gekehrten Baumeister nicht zugetraut hätte. Sie sprang die Treppe hinab und sah zwei Männer, die eine Bahre trugen. Darauf lag Urso, das Gesicht blutverschmiert, die Brust mit rotfleckigen Bandagen umwickelt.
    »Ein Schäfer hat den Mann übel zugerichtet gefunden. Bei einem alten Friedhof vor der Stadt«, keuchte einer der Träger. »Er war noch bei Bewusstsein und bat, hierher gebracht zu werden. Dafür sollten wir reichlich belohnt werden.«
    Kallinikos nickte und drückte ihm einen goldenen Tremissis in die Hand. »Bringt ihn ins Haus, ich hole einen Arzt!«
    Als der Verletzte auf eine Liege gebettet war, entfernte Pelagia behutsam die blutverkrusteten Verbände und erschrak, als sie die Wunden sah. Urso stöhnte nur Wortfetzen, doch einen Namen, den er immer wiederholte, kannte sie: Irene.
    Als endlich der Arzt eintraf, schüttelte er sorgenvoll den Kopf, säuberte die Verletzungen mit Wein und strich Salbe auf. Beim Hinausgehen bemerkte er leise. »Es sieht nicht gut aus. Betet und seid auf das Schlimmste gefasst. Vor allem aber: Lasst ihn keinen Augenblick allein.«
    Pelagia nickte und setzte sich neben die Liege. Nach einigen Stunden, die Nacht war bereits hereingebrochen, öffnete Urso die Augen.
    »Kallinikos, komm sofort!«, rief sie, nahm die Hand des Verletzten und erschrak über die leblose Kälte.
    Als der Baumeister eintrat, lächelte Urso schwach. »Danke, ihr seid wahre Freunde. Diesmal …«, Husten schüttelte seinen Körper, so dass er nicht weitersprechen konnte. »Diesmal war ich nicht flink genug. Die Sarazenen haben mich erwischt. Wie der weise …«
    »Redenicht, das strengt zu sehr an«, unterbrach ihn Pelagia, doch Urso schüttelte ganz langsam den Kopf. »Zu spät.« Er verstummte, um dann alle Kraft zusammenzunehmen.
    »Gestern Morgen war ich im Hurenhaus. Irene ist dort.« Sein Kopf sank zurück, er röchelte, so dass sich Pelagia über ihn beugen musste, um etwas zu verstehen. »Sie wollen zwölf Solidi für ihre Freiheit. Ich habe noch drei, in dem Krug.«

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