Sie kamen nach Bagdad
Beispiel das junge Mädchen unten, Catherine, das Sie heraufgeführt hat. Sie ist eine Syrerin aus Damaskus. Sie beide sind vermutlich im gleichen Alter. Normalerweise würden Sie nie zusammenkommen, Sie haben nichts miteinander gemein. Aber im ›Ölzweig‹ kommen Catherine und Sie und viele, viele andere, Russinnen, Jüdinnen, Irakerinnen, Türkinnen, Armenierinnen, Perserinnen, Ägypterinnen zusammen und lernen einander verstehen, lesen die gleichen Bücher und sprechen über Bilder und Musik – wir haben hier Vorträge von sehr bedeutenden Leuten –, und sie alle lernen andere Standpunkte kennen und werden dadurch angeregt. So soll die Welt sein.«
Victoria konnte nicht umhin zu bemerken, dass Dr. Rathbone zu optimistisch war, wenn er annahm, dass all diese heterogenen Elemente unbedingt miteinander sympathisieren müssten. Sie und Catherine zum Beispiel hatten einander ganz und gar nicht gemocht.
»Edward ist großartig«, sagte Dr. Rathbone. »Er versteht es mit jedermann. Vielleicht besser mit den Mädchen als mit den Burschen. Die Studenten hier sind am Anfang zumeist schwierig – misstrauisch – fast feindselig. Aber die Mädchen schwärmen für Edward – sie würden alles für ihn tun. Er und Catherine vertragen sich besonders gut.«
»So«, sagte Victoria kühl. Ihre Antipathie gegen Catherine wurde noch intensiver.
»Nun«, schloss Dr. Rathbone lächelnd, »kommen Sie und helfen Sie uns, wenn Sie können.«
Sie war entlassen. Er drückte ihr warm die Hand und Victoria ging aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Catherine stand an der Tür und sprach mit einem Mädchen, das gerade angekommen war und eine kleine Reisetasche in der Hand trug. Es war ein hübsches, brünettes Mädchen und einen Augenblick lang glaubte Victoria, sie früher schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Aber das Mädchen blickte sie ohne das geringste Zeichen des Erkennens an.
Victoria gelang es, aus dem gewundenen Seitengässchen in die Rashid Street zurückzufinden, und sie ging langsam zurück ins Hotel. Sie erinnerte sich, dass Edward in London gemeint hatte, dass an seiner Anstellung irgendetwas »Verdächtiges« sei. Was war verdächtig? Dr. Rathbone? Oder der ganze »Ölzweig« selbst?
Victoria konnte kaum glauben, dass an Dr. Rathbone etwas Verdächtiges sein könnte. Er kam ihr wie einer jener irregeleiteten Enthusiasten vor, die hartnäckig darauf bestehen, die Welt ungeachtet der Realitäten in rosigen Farben zu sehen. Was hatte Edward mit verdächtig gemeint? Er hatte sich sehr vage ausgedrückt. Vielleicht wusste er es selbst nicht genau.
12
V ictoria kam etwas fußwund ins Hotel zurück und wurde von Markus begeistert empfangen, der auf der Terrasse saß und mit einem mageren, etwas schäbigen älteren Herrn sprach.
»Kommen Sie und nehmen Sie einen Drink mit uns, Miss Jones. Martini – Sidecar? Darf ich Ihnen Mr Dakin vorstellen, Miss Jones aus England. Nun, meine Liebe, was soll es sein?«
Victoria bat um einen Sidecar. »Und ein paar von diesen köstlichen Nüssen«, fügte sie zuversichtlich hinzu, bedenkend, dass Nüsse sehr nahrhaft sind.
»Sie essen gern Nüsse, schön.« Er gab in schnellem Arabisch dem Boy den Auftrag. Mr Dakin ersuchte mit melancholischer Stimme um eine Limonade.
»Aber«, rief Markus, »das ist lächerlich. Hier kommt Mrs Cardew-Trench. Sie kennen doch Mr Dakin? Was möchten Sie nehmen?«
»Gin und Lemon«, sagte Mrs Cardew-Trench und nickte Mr Dakin flüchtig zu.
Als die Drinks kamen, aß Victoria einen großen Teller voll Pistazien und einige Kartoffelchips. Kurz darauf kam ein kleiner, untersetzter Mann die Stufen herauf und der gastfreundliche Markus winkte ihn ebenfalls herbei. Er wurde Victoria als Captain Crosbie vorgestellt und aus der Art, wie er die Augen verdrehte, schloss Victoria, dass er für weibliche Reize nicht unempfänglich war.
»Gerade angekommen?«, fragte er sie.
»Gestern.«
»Ich habe gewusst, dass ich Sie noch nicht gesehen habe.«
»Sie ist sehr charmant und schön, nicht wahr?«, sagte Markus vergnügt. »O ja, es ist herrlich, Miss Victoria hier zu haben. Ich werde für sie ein Dinner geben – ein sehr schönes Dinner.«
»Mit jungen Hähnchen?«, fragte Victoria sehnsüchtig.
»Ja, ja, und Gänseleber – Straßburger Gänseleber – und vielleicht Kaviar und dann ein köstliches Fischgericht – einen Fisch aus dem Tigris. Und dann einen Truthahn mit einer Füllung, wie man sie bei uns daheim macht – mit Reis und Rosinen und
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