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Sie kamen nach Bagdad

Sie kamen nach Bagdad

Titel: Sie kamen nach Bagdad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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ungeeigneten Momenten zu flunkern. Sie fühlte sich unwiderstehlich immer mehr zur Dichtung als zur Wahrheit hingezogen. Sie log geläufig, mühelos und mit künstlerischer Verve.
    Victoria war ein schlankes Mädchen mit einer guten Figur und erstklassigen Beinen. Man konnte sie nicht eigentlich als schön bezeichnen, aber sie hatte ein recht apartes Gesicht und konnte mit ihren beweglichen Zügen fast jedermann imitieren.
    Besagtes Talent hatte sie auch in die gegenwärtige missliche Lage gebracht. Angestellt als Stenotypistin bei Mr Greenholtz von Greenholtz, Simon & Lederbetter, in Graysholme Street WC. hatte Victoria sich an einem langweiligen Vormittag die Zeit damit vertrieben, die drei anderen Stenotypistinnen und den Laufburschen durch eine treffende Imitation von Mrs Greenholtz, wie sie dem Büro ihres Gatten einen Besuch abstattete, zu unterhalten. In dem sicheren Gefühl, dass Mr Greenholtz bei seinem Anwalt war, hatte Victoria sich gehen lassen.
    Die plötzliche Interesselosigkeit ihrer zuerst hingerissenen Zuhörer, die jetzt auf einmal in spontaner Übereinstimmung ihre Arbeit wieder aufnahmen, veranlasste Victoria, ihre Vorstellung abzubrechen und sich jäh umzuwenden – um Mr Greenholtz im Türrahmen zu erblicken.
    Victoria, der nichts Gescheites einfiel, sagte nur: »Oh!«
    Mr Greenholtz knurrte etwas, warf seinen Überrock ab, ging in sein Privatbüro und schlug die Tür zu. Gleich darauf läutete seine Glocke. Zweimal kurz, einmal lang. Das war das Zeichen für Victoria.
    »Das gilt dir, Jonesey«, sagte eine Kollegin überflüssigerweise. Ihre Augen funkelten vor Schadenfreude. Victoria nahm Block und Bleistift und segelte mit so viel Aplomb, wie sie aufbringen konnte, in Mr Greenholtz’ Büro.
    »Sie wünschen, Mr Greenholtz?«
    Mr Greenholtz raschelte mit drei Einpfundnoten und durchsuchte seine Taschen nach Kleingeld. »Also da sind Sie!«, sagte er. »Ich habe genug von Ihnen, junge Dame. Sehen Sie irgendeinen Grund, warum ich Sie nicht mit einem Wochenlohn an Stelle der Kündigung jetzt und auf der Stelle bitten sollte zusammenzupacken?«
    Victoria (eine Waise) hatte gerade den Mund geöffnet, um zu erklären, dass die Tatsache, dass ihre Mutter schwer erkrankt sei, sie so verwirrt habe, dass sie nicht gewusst hätte, was sie tat, als ein Blick in Mr Greenholtz wütendes Gesicht sie eines Besseren belehrte.
    »Ich bin ganz und gar Ihrer Meinung«, sagte sie munter und liebenswürdig. »Ich finde, Sie haben vollkommen Recht, wenn Sie wissen, was ich damit sagen will.«
    Mr Greenholtz war etwas verblüfft. Er war es nicht gewohnt, dass man seine Entlassungen so beifällig hinnahm. Um seine leichte Verlegenheit zu bemänteln, kramte er in einem Haufen Münzen auf dem Schreibtisch und durchsuchte nochmals seine Taschen.
    »Mir fehlen Ninepence«, brummte er.
    »Das tut nichts«, sagte Victoria liebeswürdig, »gehen Sie ins Kino oder kaufen Sie sich Schokolade dafür. Wie steht es mit einem Zeugnis?«
    Mr Greenholtz’ Zorn flammte erneut auf: »Warum zum Teufel soll ich Ihnen ein Zeugnis geben?«
    »Es ist so üblich«, erklärte Victoria.
    Mr Greenholtz zog einen Bogen Papier zu sich heran und kritzelte einige Zeilen darauf. Dann schob er das Blatt dem Mädchen hin: »Genügt Ihnen das?«
     
    Miss Jones war zwei Monate als Stenotypistin bei mir. Ihre Sten o graphie ist ungenau und ihre Orthographie fehlerhaft. Sie verlässt meine Firma wegen Zeitvergeudung während der Bürostunden.
     
    Victoria schnitt eine Grimasse: »Kaum eine Empfehlung«, bemerkte sie.
    »Als solche war es auch nicht gedacht«, knurrte Mr Greenholtz.
    »Ich glaube«, sagte Victoria, »Sie sollten mindestens schreiben, dass ich ehrlich, nüchtern und anständig bin. Das bin ich nämlich wirklich, wissen Sie. Und vielleicht könnten Sie hinzufügen, dass ich diskret bin.«
    »Diskret?«, bellte Mr Greenholtz.
    Victoria begegnete seinem Blick mit großen Unschuldsaugen.
    »Diskret«, wiederholte sie sanft.
    Mr Greenholtz erinnerte sich etlicher Briefe, die Victoria stenographiert und getippt hatte, und beschloss, dass Vorsicht der bessere Teil der Rachsucht sei. Er nahm den Bogen hastig wieder an sich, zerriss ihn und verfasste ein neues Zeugnis:
     
    Miss Jones war zwei Monate als Stenotypistin bei mir. Sie ve r lässt die Firma wegen Reduzierung des Personals.
     
    »Wie ist das?«
    »Es könnte besser sein«, sagte Victoria, »aber es genügt.«
    So kam es, dass Victoria in Gedanken versunken mit einem Wochenlohn

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