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'Sie können aber gut Deutsch'

'Sie können aber gut Deutsch'

Titel: 'Sie können aber gut Deutsch' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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Eltern mit einer Selbstverständlichkeit vor, die ich für mich niemals beansprucht hätte, weil ich meinte, dafür nicht die richtige Familie abbekommen zu haben. So selbstbewusst schienen andere mit ihrer Herkunft umzugehen, so natürlich waren sie das, was sie nun einmal
waren – in Deutschland geborene Italiener oder Deutsche mit türkischem Hintergrund oder Finnen mit einem deutschen Elternteil –, dass sie sich keine Gedanken darum machten, ob dieses Verhalten zu einem eventuellen Gefühl des Toleriert-Werdens führen könnte. Stießen sie dennoch auf Toleranz, so schienen sie diese nicht nur zu ignorieren, sondern sogar darüber zu stehen. Ich dagegen hatte mich immer kleiner und unbedeutender gefühlt, wenn und weil ich toleriert wurde; nun erlebte ich, wie die Tolerierenden klein, unbedeutend und sogar kleinlich wirkten, weil sie die Menschen tolerierten, die zwei Kulturen unkompliziert, voller Lebensfreude und vorteilhaft miteinander verbinden. Diese Menschen nahmen ihren Platz in der Gesellschaft mit einem solch sicheren Selbstwertgefühl ein, dass sie Toleranz nicht zu tolerieren schienen. Sie sagten Sätze wie »Bei uns macht man das so« oder »Bei uns isst man das so«, Sätze, die ich auch von meiner Mutter kannte, nur, dass sie dabei nicht entschuldigend klangen wie bei ihr, nicht beschämt, sondern mit einer Selbstverständlichkeit hervorgebracht wurden, in der manchmal sogar Stolz mitschwang. Jahrelang hatte ich Sätze dieser Art so gut es ging vermieden, indem ich – zumindest in der deutschen »Öffentlichkeit« – nichts tat, »wie man es bei uns tat«. Ich wurde neidisch auf diese anderen, auf diese anderen Deutschen, ich lernte von ihnen. Lernte, im Bus russischsprachige Bücher zu lesen, lernte, deutschen Freunden russisches Essen vorzusetzen, lernte, Russisch mit russischen Freunden auch in der U-Bahn zu sprechen, lernte, wer ich war. Es war ein längerer Prozess, ehrlicherweise vielleicht sogar einer, den ich bis heute nicht abgeschlossen habe. Je mehr ich lernte, desto besser ging es mir.
    Es war mein zwölfter Geburtstag, mein erster Geburtstag, den ich mit deutschen Freunden feierte. Und so aufgeregt wie
ich war auch meine Familie, vielleicht, weil sie merkte, wie aufgeregt ich war, vielleicht einfach nur, weil sie mir eine Feier bieten wollte wie die, von denen ich erzählt hatte, nachdem ich meine ersten beiden deutschen Kindergeburtstage erlebt hatte. Meine Eltern spürten, vielleicht sagte ich es ihnen auch, wie wichtig es mir war, einen deutschen Geburtstag zu haben, und sie taten ihr Möglichstes, nicht sie selbst zu sein. Ich hatte mich beim Programm, das ich für meine Feier entwarf, minutiös an dem orientiert, was ich bei meinen deutschen Freunden kennengelernt hatte. Ich hatte das Programm alleine erarbeitet, weil meine Eltern, die für mich in der Sowjetunion die großartigsten und beliebtesten Kinderpartys ausgerichtet hatten, nicht wussten, wie ein deutscher Kindergeburtstag auszusehen hatte, sich wohl auch bereits im Vorfeld für ihre deutsche Aussprache schämten, die meine Schulfreunde nicht immer verstanden. Nur eines behielt ich aus meiner Kindheit bei: Ich wollte »meine« Geburtstagstorte haben. Nun muss man wissen, dass russische Torten keine Sahne-, sondern Buttercremetorten sind, süß und klebrig. Auf die meine wird Schokoladenkuvertüre getröpfelt, anstatt sie komplett mit einem Schokoladenüberzug zu versehen, was sie für deutsche Augen ungewohnt aussehen lässt. Der Zubereitungsprozess meiner Torte dauert aufgrund der vielen verschiedenen Schichten einen halben Tag. Sie ist eine Kalorienbombe, bei der man jede einzelne Kalorie schmeckt. Eine köstlichere Süßigkeit kenne ich nicht. Es war das erste Mal, dass meine Mutter in Deutschland diese Torte buk, deren Rezept sie übrigens, wie ich vor kurzem erfahren habe, interessanterweise in der russischsprachigen Ausgabe der Burda vor Jahren in der Sowjetunion gefunden hatte; man hatte geglaubt, eine deutsche Torte zu backen. Ich freute mich riesig auf den Geschmack auf meiner Zunge, den ich in Deutschland vermisst hatte.

    Meine Freunde fanden die Torte befremdlich, was sie mit Ausdrücken wie »Iiiiih«, »Igitt« und »Eklig« deutlich zu erkennen gaben, Aussagen, für die ich von meinen Eltern in ein anderes Zimmer geschickt worden wäre, weil Essen einem manchmal nicht schmeckt, aber nicht eklig ist. Am Diplomatischsten versuchte es ein Mädchen, das behauptete, gerade eben zuhause gegessen zu haben.

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