'Sie können aber gut Deutsch'
Hauptschulen noch viel zu berichten wäre, festzuhalten bleibt, dass nicht nur das Essen der afrikanischen Nachbarn, sondern auch das der russischen stinken kann, insbesondere anscheinend der Fisch. Nun ist es so, dass aus meiner wiederum recht russischen Sicht für diesen kurzen olfaktorischen Moment Sauerkrautgeruch an einem Sonntagmittag den Gang durch den Hausflur im Sommer auch nicht gerade angenehm macht, aber wir sind hier in Deutschland, und da isst man eben Sauerkraut. Sonst hätte ich ja auch in Russland bleiben können (wo ich hingehöre?) mit dieser Art von olfaktorischer Empfindlichkeit.
Die Migranten, die heute kommen, die Nigerianer und die Russen und all die anderen, die bleiben also länger, für immer gar, und da überlegt man schon genau, wen man sich als Nachbarn holen will. Wen man als Nachbarn, auch olfaktorisch, erdulden kann. Aber nicht menschen-, sondern länderspezifische Überlegungen werden hierbei angestellt. In unseren Köpfen haben wir Listen, auf denen wir festhalten, welche Migranten uns angenehm sind und welche nicht, weil sie eine Kultur mitbringen, die mit der unsrigen nicht vereinbar zu sein scheint, obwohl wir ihre Kultur eigentlich gar nicht kennen. So wie Länder auf diesen imaginären Listen aufgrund bestimmter Ereignisse (11. September), bestimmter »Mitbringsel« (Kopftücher) oder einfach festsitzender Vorurteile (Knoblauchgeruch) ganz unten rangieren, stehen trendige, spannende Länder, aus denen Zuwanderer – zumindest in bestimmten Kreisen – durchaus willkommen sind, ganz oben.
Die Stimmung wechselt wie der Wind. Griechenland war ziemlich lange toll. Großartiges Reiseziel, sowohl für Bildungsinteressierte als auch für Ruhe und Sonne suchende Strandurlauber. All die antiken Ruinen, diese Geschichte, Ursprung der europäischen Kultur, die blauen Lagunen, die feinen, weißen Sandstrände, die Inseln mit den romantischen Namen. Die Griechen, die in Deutschland lebten, waren zwar Gastarbeiter wie die Türken und die Italiener, aber sie konnten einen dabei beraten, welche Insel die beste für einen Urlaub mit Kindern Anfang Juni ist. Und die Gebildeten unter ihnen konnten einen durch das archäologische Museum führen. Es gab dann noch Gyros und Mousakka und ab und zu einen Ouzo, und eigentlich war doch alles ganz gut zwischen Deutschland und Griechenland, also zumindest zwischen den Deutschen und den Griechen hier. Dann kam die große Finanzkrise in Griechenland, Deutschland musste zahlen, und plötzlich war alles anders: Aus den netten Griechen wurden die bösen Griechen, die ihr Geld verplemperten, und wir durften einspringen. Plötzlich, innerhalb von Tagen in jenem Sommer, in dem sich der eine oder andere durchaus auch an die griechischen Strände wünschte, war Griechenland in der Hitliste der Herkunftsländer um einige Plätze nach hinten gerutscht. Statt Epikur und Kreta Staatsbankrott.
Ist ja auch eine schlimme Sache, so ein Staatsbankrott, möchte ich gar nicht kleinreden. Nur: Was haben die einzelnen Menschen, die hier, in Deutschland, also noch nicht einmal in dem pleitegegangenen Land leben, damit zu tun? »Ich bin so traurig aufgrund dessen, was gerade passiert! Das nimmt mich so mit!«, sagte mir eine aus Griechenland stammende Freundin damals, und ich dachte, sie meine die Situation in Griechenland, die ja auch schlimm war, ohne Frage. Bis sie hinzufügte, dass es ihr um den plötzlichen Meinungsumschwung
ging. »Wie man die Griechen plötzlich nicht mehr mag, von heute auf morgen«, beschrieb sie es. Und fügte schnaufend hinzu: »Die Griechen!«
Ich habe eine Freundin, die aus Südamerika stammt. Auch sie ist des Öfteren genervt. Sie spricht Deutsch mit einem südamerikanischen Akzent. Sie hat dieses süße »Rrr« und eine bestimmte Satzmelodie, die auf andere eine faszinierende, anziehende Wirkung auszuüben scheint. Sie lebt seit vielen Jahren in diesem Land, sie hat ihre Dissertation hier und auf Deutsch verfasst, sie ist mit einem Deutschen verheiratet, aber wenn sie Menschen kennenlernt, die »Wo kommst Du her?« fragen, und sie darauf antwortet, dann wechseln viele ihrer Gesprächspartner ins Spanische, in ein sehr gebrochenes Spanisch, beschwert sie sich, in dem sie ihr unter anderem zu erklären versuchen, wie das Land, aus dem sie stammt, und Südamerika an sich so sind. Schließlich ist man da vor ein paar Jahren mit dem Rucksack herumgereist, in einem Bus, um »richtig Land und Leute kennenzulernen«, nicht als »normaler Tourist«.
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