'Sie können aber gut Deutsch'
(wahlweise so ein furchtbarer oder so ein netter Dialekt) – sie zahlt ein Vermögen für ihre Wohnung – sie lebt in einer der schönsten Städte Deutschlands – sie ist spießig und aalglatt wie München spießig und aalglatt ist – wie, sie lebt als Autorin nicht in Berlin? Unsere Köpfe sind voll von Bildern. Das ist in Ordnung so, sie sind Zeugen und Ergebnis unseres Lebens, unserer Erfahrungen, der Geschichten, die wir gehört oder gelesen haben, der Erlebnisse, der Ideen, die in unseren Köpfen herumschwirren, sie sind nicht zuletzt das, was uns ausmacht. Die Frage ist nur, was man damit macht. Lässt man sie stehen? Oder betrachtet man sie für ein paar Sekunden und lässt sie dann los, um sich selbst nicht die Möglichkeit zu nehmen, eine neue Erfahrung zu machen, den Bilderreichtum zu vergrößern, zu vervollständigen, zu hinterfragen? Gleicht man sich mit der Realität ab, also dem Menschen vor sich?
Es geht so einfach. Man muss nur die eine oder andere Frage stellen. Interesse nicht zeigen, sondern haben, schon wieder so ein kleiner, aber feiner Unterschied.
»Du kommst aus Russland, ach, das wusste ich nicht! Vielleicht kannst du mir eine Frage beantworten, ich habe nämlich mal gehört, dass … Was hältst Du davon?«
»Du hast einen Hund? Macht er nicht furchtbar viel Dreck?«
»Du hast ein Kind? Da kommt man wahrscheinlich nicht zu viel anderem, oder doch?« Oder doch, eine kleine Nachfrage, die den Unterschied macht.
»Du lebst in München? Man liest ja immer so viel über die hohen Mieten dort. Ist es immer noch so?«
Es ist so einfach.
Ich habe ein T-Shirt. Es ist grün. Grün wie das Grün in der palästinensischen Flagge. Darauf ist ein Schriftzug, in den anderen Farben der palästinensischen Flagge, er sieht nach arabischen Buchstaben aus. Ein T-Shirt, das eine politische Aussage ist, ist doch klar. Nur, dass der Schriftzug ein verschnörkeltes Deutsch ist, das man spiegelverkehrt lesen muss. Liest man es spiegelverkehrt, steht da nichts weiter als »Du bist einfach super« auf Deutsch, ein buntes Sommer T-Shirt in grellen Farben. Manche fragen mich: »Was steht denn auf deinem Shirt?« und müssen lachen, wenn sie es erkannt haben, vielleicht über das T-Shirt, vielleicht über sich selbst. Diejenigen, die nicht fragen, denken sich ihren Teil. Sehen und stellen im Kopf fest, ohne mit dem Menschen, mit mir in diesem Fall, zu reden. Bilden sich eine Meinung und marschieren mit dieser davon. Ein Kleidungsstück, das mehr über Vorurteile aussagt als manch langer Vortrag.
Man bildet sich hierzulande Meinungen nicht über Menschen, sondern über Länder, Kulturen und Religionen, und davon leitet man ab, wer hier willkommen ist und wer weniger und wer vielleicht, unter bestimmten Umständen, unter bestimmten Bedingungen ein bisschen. Man schämt sich dieser
Ranglisten noch nicht einmal. Man schämt sich ihrer deshalb nicht, weil man überzeugt ist zu wissen, wie einzelne Menschen, wie Individuen sind, nur weil man das eine oder andere Merkmal von ihnen kennt: den Geburtsort, die Hautfarbe, die Religion, ihre Essensbräuche, die Sprache. Frei nach dem Motto »Ein guter Indianer ist ein toter Indianer« denkt man sich »Ein guter Türke ist ein Türke, der in der Türkei bleibt«. Das ist nicht nur primitiv, es ist auch schade für die Meinungsbildenden selbst. Weil ihnen Begegnungen und Erfahrungen, neue Kenntnisse und neue Freunde entgehen. Bereit zu sein, jemanden kennenzulernen, heißt noch nicht, dass man bereit ist, denjenigen auch zu mögen. Jemanden automatisch aufgrund bestimmter Kriterien zu mögen, ist ebenso primitiv, wie ihn dafür zu verurteilen oder Angst vor ihm zu haben. Ihn aber kennenzulernen und sich dann ein Urteil zu bilden, ist eines denkenden Menschen würdig.
Ich spreche, und das muss an dieser Stelle noch einmal festgehalten werden, nicht von möglichen Begegnungen in der fernen Zukunft. Ich spreche von Begegnungen mit Menschen, die bereits unsere Nachbarn sind, die Wir sind, von Menschen, die nicht eventuell kommen werden, um zu bleiben. Sondern von Menschen, die schon lange hiergeblieben sind.
Etwas, das nicht existiert, kann nicht versagen
Die Integrationspolitik in Deutschland
Die Politik, also die Politiker, die Regierung, die Opposition (die Ex-und-Möchtegern-Regierung), die Minister samt ihren Ministerien, und jeder, der sich selbst diesem Milieu zurechnen würde, hat einen Selbstschutzinstinkt. Den Trieb, sich vor möglichen Angriffen,
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