"Sie koennen aber gut Deutsch!"
meinem Viertel beobachtete, schrieb ich seit langer Zeit auf bunte Post-its auf, wer alles dazugehörte. »Die Frau mit dem Kopftuch, die ihren
Sohn eilend, weil zu spät, zur Grundschule bringt. Er trägt ein FC-Bayern-Trikot«, konnte auf einem solchen Post-it stehen. Oder auch: »Die Frau mit dem reinrassigen und stylish geschorenen Mittelschnauzer, der unseren verwuschelten, schwarzen Mischling immer so anbellt, vielleicht, weil die Frau ihn schon so abschätzig anschaut. Ist der Mittelschnauzer âºvon und zuâ¹ sich zu gut für unseren slowakischen StraÃenköter?« Als ich das später wieder las, musste ich daran denken, dass der Hundetrainer, der versucht hatte, unseren schwarzen Vierbeiner von seinen Tiertötungsstationstraumata zu befreien, von Studien erzählt hatte, die zeigen, dass Menschen immer den schwarzen Hund für den schuldigen halten, wenn Hunde sich streiten. Vielleicht fängt Rassismus bei der Wahrnehmung von Hunden an.
Die Post-its schmiss ich alle in eine Schreibtischschublade, der Ordnung halber, vielleicht würde ich sie ja einmal verwenden können.
Mein Deutschland, das ich auf bunten Klebezetteln festhielt, war ein Wir-Deutschland, zu dem so viele unterschiedliche Menschen gehörten, die miteinander und mit mir nicht unbedingt etwas zu tun hatten, auch nichts zu tun haben mussten, aber doch zweifelsfrei ein Teil dieses Landes waren. Ich wollte mit ihnen reden, ihre Geschichten erzählen, ich wollte darüber schreiben, wie vielfältig und deshalb spannend dieses Deutschland ist.
Aber dann schrieb Sarrazin ein Buch.
Und ich schwor mir, nichts über ihn zu sagen und nichts über ihn zu schreiben, aus Gründen, die man so häufig in jenen Wochen gehört hatte von Menschen, die dann doch etwas über ihn sagten oder über ihn schrieben: Nichts Neues habe der Mann beigetragen, unsäglich, die Gen-Debatte, mit seinen Feststellungen eigentlich altbekannter Tatsachen spiele er in
die falschen Hände, ein vermeintlicher Tabubruch sei kein Tabubruch, und so weiter und so fort.
Aber ich hörte zu. Und je mehr ich zuhörte, desto unwohler fühlte ich mich.
Ich versuchte, den Menschen abseits der Podiumsdiskussionen zuzuhören, las Forumsbeiträge seriöser, namhafter Medien, Leserkritiken auf Amazon.de , hörte mir bewusst Radiosendungen mit Hörerbeteiligung an, trieb mich in Buchläden herum und belauschte die Sarrazin-Buchkäufer, quetschte die Buchhändlerin meiner Lieblingsbuchhandlung aus und lernte, dass fremd hierzulande nicht gut sein kann. Manche sagten es offen, manche zwischen den Zeilen. Es sagten fast alle.
Die Menschen, die da sprachen, und es schien die Mehrheit zu sein, hatten Angst vor einer Ãbernahme Deutschlands durch die Muslime, aber keiner sagte, was diese genau übernehmen wollten. Die Angst vor der Scharia in Deutschland konnte doch wirklich nicht ernst gemeint sein! Selbst wenn ich mir alle Mühe gab, diese Ãngste nachzuvollziehen, musste ich doch sagen, dass es mir immer noch realistischer erschien, dass aufgrund der globalen Erderwärmung beispielsweise die Niederlande überschwemmt werden und alle Niederländer nach Deutschland flüchten, als dass die Scharia hier eingeführt wird. Oder dass ein Virus wie die Schweinegrippe oder der EHEC-Keim uns gefährlich wird. Oder, oder, oder.
Die Menschen, die da sprachen, meinten, man würde doch mal sagen dürfen oder man würde doch mal fragen dürfen, so als seien die Integrationsprobleme noch nie Thema in diesem Land gewesen. Und ich dachte, ich hätte wohl all die politischen Diskurse, Reportagen aus GroÃstadtghettos mit hohem Ausländeranteil wie Berlin-Neukölln, wohl gemeinten Podiumsdiskussionen nur geträumt.
Die Menschen, die da sprachen, hatten andere Zahlen
über Ausländeranteile in den einzelnen gesellschaftlichen Bereichen im Kopf als ich, aber ich dachte: Sehen sie denn auch tagtäglich ein anderes Deutschland als ich? Sehen sie denn nicht, dass sich die Realität zum groÃen Teil in einem relativ unspektakulären Alltag abspielt, weit entfernt sowohl von den kriminellen Problemjugendlichen als auch von den Quotenvorzeigeausländern im Fernsehen? Dass die meisten Menschen mit Migrationshintergrund ähnlich wie die meisten Menschen ohne Migrationshintergrund ein stinknormales Leben führen bestehend aus Arbeit, Kinderversorgung und ein wenig Freizeit? Sie sprechen
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