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"Sie koennen aber gut Deutsch!"

"Sie koennen aber gut Deutsch!"

Titel: "Sie koennen aber gut Deutsch!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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dabei mal (ein nicht unbedingt perfektes) Deutsch, mal ihre Muttersprache, unterscheiden sich in ihrem Durchschnitt aber nicht von den meisten Urdeutschen. Neben den wenigen Schulen, in denen eine nichtdeutsche Mehrheit die wenigen deutschen Schüler ausgrenzt und mobbt, die immer als Beispiel herhalten müssen, gibt es den großen Teil der Schulen, in denen deutsche und nichtdeutsche Kinder mal miteinander, mal nebeneinander lernen und spielen und auch mal streiten, meistens über Nationalitätengrenzen hinweg, weil der Grund für diese Streitigkeit nicht die Herkunft ist, sondern Probleme, die Kinder und Jugendliche nun einmal miteinander haben: Er/Sie hat mir meinen Ball/meine Freundin/meine erste große Liebe/meine CD weggenommen.
    Die Menschen, die da sprachen, hießen »ausländische Mitbürger« »grundsätzlich« »schon« »bei uns« »willkommen«, aber nur wenn sie … und dann hörten sie gar nicht mehr zu reden auf, und ich war mir plötzlich nicht mehr sicher, ob auch ich die Kriterien alle erfüllte. Denn selbst wenn ich nicht radikalislamisch bin, so liebe ich doch russisches Essen, möchte gerne, dass meine Kinder Russisch sprechen, und feiere Weihnachten tendenziell nicht.

    Es ging mir nicht um Sarrazins Thesen, sondern darum, was diese auslösten. Oder sollte ich sagen: freisetzten. An Ressentiments.
    Sarrazins Buch wurde bei Amazon.de 352 Mal mit fünf Sternen, 66 Mal mit vier Sternen und insgesamt nur 73 Mal schlechter bewertet. Die meisten Kritiker schrieben wenig über das Buch, aber umso mehr über eine gefühlte Realität, in der Deutschland sich fast schon abgeschafft habe. Weil Menschen wie ich hier leben?
    Ich las in Leserbriefen zu Artikeln führender deutscher Medien: »Die Wahrheit ist doch, daß die Einwanderer sich abschotten, sich furchtsam weigern, wirklich deutsch zu werden und sich generationenlang an ihre Heimatkultur klammern. (…) Mit dem Unterschied, daß dies hier unser Land ist und nicht das der Einwanderer. Sie sind herzlich willkommen mitzumachen. Aber dann bitte richtig!«
    Ich las: »Und wer sich wie ein Großteil unserer Einwanderer so viel Mühe gibt, fremd zu bleiben und sich abzukapseln, der sollte sich auch über Zurückhaltung nicht wundern.«
    Es hatte auch früher schon solche Stimmen gegeben, aber nicht in dieser Quantität. Es hatte früher mehr Gegenstimmen gegeben.
    Die Menschen, die da sprachen, bezogen sich angeblich auf die Integrationsverweigerer, die im Übrigen kaum jemand kritikwürdiger findet als Menschen wie ich, die in der Migrantenwelt aufgewachsen sind und die Integrationsverweigerer deshalb besonders gut kennen. Aber sie sprachen »von einem Großteil der Zuwanderer«, und sie sagten, zur Integration gehöre, dass man die alte Kultur vergesse, hinter sich lasse. Es tat mir leid, nach fast zwanzig Jahren in diesem Land offenbar nicht integriert zu sein, weil ich russischen Kartoffelsalat so
sehr liebe und sich meine Begeisterung für Schweinshaxen weiterhin in Grenzen hält.
    Ja, jetzt werde ich polemisch.
    Und dann mussten auch noch deutsch-türkische Fußballspieler vor dem Deutschland-Türkei-Spiel den deutschen Journalisten mehrmals verbindlich versichern, dass ihr Herz wirklich für Deutschland schlägt. Dabei hat der Urdeutsche Goethe zwei Seelen, die in ein und derselben Brust wohnen, durchaus nachvollziehen können.
    Wird es demnächst neben dem Einbürgerungstest eine Herzensüberprüfung geben: Stimmt bei Ihnen auch die Gesinnung?
    Und schon wieder werde ich polemisch. Aus Ratlosigkeit wahrscheinlich.
    Aber muss ich mein früheres Ich, meine Vergangenheit, Kultur, Sprache, Tradition und alles, was ich bis zur Einwanderung kannte, an der Pforte zu Deutschland abgeben? Tabula rasa machen auf dem Weg zum Deutschtum?
    Und nach all dem, nach all der Zustimmung zu Sarrazin und den wochenlangen Diskussionen, hörte ich dann noch eine Zuhörerin in einer Radiosendung sagen: »Wir sind ein sehr tolerantes Volk, wir Deutschen, da erwarte ich von den Muslimen, dass sie auch tolerant sind.« Ich musste lachen, ein Lachen, das Schriftsteller gemeinhin als bitteres Lachen bezeichnen.
    Die Menschen, die da sprachen, lebten in einem anderen Deutschland als ich. Ich wäre bereit, sie in mein Wir aufzunehmen, denn zu meinem WIR gehören wir ja alle. Leider schienen sie mich nicht in ihrem Mehrheits-Wir

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