"Sie koennen aber gut Deutsch!"
haben zu wollen. Zum ersten Mal fühlte ich mich unwillkommen in Deutschland, und das fühlte sich wiederum sehr unschön an. Unschön und falsch.
Und weil es sich so anfühlte, begann ich darüber zu reden. Ich sprach mit S. darüber. S. ist meine Freundin, meine ehemals jugoslawische und nun bosnisch-kroatische Freundin, die mit einem Hauch fränkischen Dialekt spricht und den Balkan-Ländern aufgrund ihrer Erfahrungen dort wahrscheinlich nicht freundlicher gesinnt ist als die Menschen, die Sarrazin hochhalten. Jedenfalls sprach ich mit S., mit der ich noch nie über das Thema Integration als Problem geredet hatte, über Sarrazin. Geschichten hatten wir ausgetauscht, das ja, Geschichten, in denen wir uns Deutschland Schritt für Schritt eroberten. Lustige Geschichten. Zumindest im Nachhinein. Wie ich nach meiner ersten Ãbernachtung bei einer deutschen Freundin deren Mutter fragte, ob es nicht noch Spaghetti vom Vorabend gäbe, weil Müsli aus meiner damaligen russischen Sicht (aus einem Russland, in dem Müsli und andere westliche Produkte noch nicht Einzug gehalten hatten) wie Vogelfutter aussah und ein richtiges Frühstück für mich aus richtigen, warmen Speisen bestand. Wie sie, die heute promovierte Historikerin, bei einer Berufsberatung in der Hauptschule, die sie anfangs besuchte, weil ihre Mutter nichts über das dreigliedrige Schulsystem wusste, auf die Frage hin, was sie mal werden wolle, selbstbewusst und überzeugt antwortete: »Ich mechte Rechtsanweltin warden.« Wir sprachen nie über Integration als Prozess oder als Problem oder als Tatsache, vielleicht, weil wir sie lebten. Ich brachte ihr von meiner Mutter immer selbstgemachte Syrniki, russische Quarkküchlein, mit, sie erzählte mir von ihrer Oma in Bosnien, von der ein Foto mit Zigarette im Mund an ihrer Wand hing, das ich liebte. Selbstverständlich sprachen wir Deutsch. Waren wir naiv?
Das fragte ich sie, als wir an einem schönen Herbsttag auf einer Caféterrasse saÃen und Kaffee tranken und Kuchen aÃen, weil wir immer zusammen Kuchen essen. Der Hund lag
unter dem Tisch und hoffte auf Krümel, und mein kleiner deutsch-russisch-jüdisch-ungarischer Sohn lachte S., seine deutsch-jugoslawisch-kroatisch-bosniakisch-und-überzeugtatheistische Patentante an, weil sie mit ihm Faxen machte. Ich erzählte S. von meiner Verstörtheit und meinen Zweifeln und meinem Unwohlsein, und sie hörte kurz auf, den Kleinen zu kitzeln, und schaute mich mit diesem ungläubigen Blick an, den ich sonst manchmal zugeworfen bekomme, wenn ich Dinge nicht kenne, wie das Yps-Heft oder das SesamstraÃen-Lied oder andere Dinge, von denen die Kindheit meiner Generation geprägt wurde. Ich kenne sie nicht, weil meine Kindheit nun einmal aus anderen Zeichentrickfilmen, Zeitschriften und Spielen bestand. S. warf mir also diesen Blick zu und sagte: »Aber was hast du denn gedacht? Wir werden nie dazugehören, egal, was wir tun.« Es klang nicht verbittert, nur abgeklärt, und erschreckte mich deshalb noch mehr.
Dann erzählte sie mir noch ein paar Geschichten, die man unter Schlagworten wie Intoleranz, Desinteresse, Fremdenangst, Vorurteile, aber auch unter Ausgrenzung abspeichern könnte. Die Geschichten drehten sich unter anderem um Namen und Reaktionen auf Namen, gewöhnungsbedürftg klingende Namen. Namen, die zum Beispiel mit »ic« aufhörten. Oder viele einander folgende Konsonanten in sich trugen. Es ging um ihren eigenen Namen; den Namen einer ehemaligen Kollegin, die eigentlich urdeutsch war, aber wohl den Fehler begangen hatte, einen Kroaten zu heiraten; den Namen eines in Bayern geborenen, aufgewachsenen, studierten Halbgriechen, und die Geschichten endeten alle damit, dass die Namen, ohne Rücksicht auf Person, Hintergrund, Umfeld ausschlaggebend waren für eine bestimmte Art und Weise, mit der jeweiligen Person umzugehen. Ein Arzt mit einem solchen
Namen? Das kann doch nicht sein! Gut Deutsch verstehen mit einem solchen Namen? Das kann doch nicht sein!
Was mich daran erinnerte, wie ich einmal in eine Bücherei zu einer Lesung kam, meinen Namen nannte und erklärte, dass ich heute hier aus meinem Roman lesen sollte, woraufhin der Büchereimitarbeiter sehr langsam und überdeutlich zu mir sagte: »Woooo-llen Siiiiie Iiiiihre Jaaaa-ckeee aaauf-hängeeen?« und auf die Garderobe zeigte, für den Fall, dass ich ihn nicht verstand.
S.
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