"Sie koennen aber gut Deutsch!"
Italien oder Polen oder Argentinien stammte. Ist es hier anders, weil wir â oder einige von uns â immer noch nicht zugeben wollen, dass Deutschland längst ein Einwanderungsland ist, es schon war, bevor wir diesen Begriff so ausführlich auf sein Pro und Contra hin diskutierten? Wenn wir doch irgendwann zu dieser Einsicht gelangt sein werden, wird sie vielleicht â ein bisschen Optimismus schadet ja nicht â dazu führen, dass ein Kind, das mit seiner GroÃmutter, die es von der Schule abholt, nicht Deutsch spricht, sondern eine andere Sprache, nicht mehr skeptisch beäugt, sondern sogar ein wenig beneidet wird? Nicht, weil Neid ein positives, wünschenswertes Gefühl wäre, sondern weil sein Vorhandensein in diesem Zusammenhang die Einsicht demonstrieren würde, dass das Beherrschen einer weiteren Sprache etwas Wundervolles, Erstrebenswertes und eben Beneidenswertes ist. Unabhängig davon, ob sie bei einem teuer bezahlten Auslandsaufenthalt, in einer Privatschule, vom Aupair-Mädchen oder eben von der GroÃmutter auf dem Nachhauseweg
von der Schule erlernt wird. Nicht nur, weil sie einem im späteren Leben, im Beruf viele Türen öffnen werden, sondern auch deshalb, weil sie uns allen einen anderen, einen neuen Blickwinkel auf die Dinge ermöglichen. Nichts erleichtert mein Leben mehr, wenn ich in Sorge über etwas verfalle, mich in Gedanken hineinsteigere, als kurz aus meinem deutschen Ich hinaustreten zu können und die Situation aus einem russischen Blickwinkel heraus zu betrachten. Mich zum Beispiel ganz banal frage, ob ich noch einmal zum Supermarkt rennen soll, um Käse für die Gäste zu kaufen, den ich nach dem Essen servieren könnte, obwohl ich eigentlich keine Zeit dafür habe. Aus dem russischen Blickwinkel heraus aber spielt Käse keinerlei Rolle, erst recht nicht als ein Extra-Gang nach dem Nachtisch, serviert auf einem Extrateller mit nichts weiter als Weintrauben, um diesen im Ãbrigen noch nicht einmal ursprünglich deutschen Brauch auch mal mit russischen Augen zu beschreiben. Und sofort verfliegt der Stress, weil auch der Druck plötzlich so absurd erscheint, trotz Regens und Zeitmangels noch einmal wegen einer Käseauswahl das Haus verlassen zu müssen. Es ist ein banales Alltagsbeispiel, aber unser Leben besteht nun mal weitgehend aus banalem Alltag. Diesem mit zwei Sprachen und zwei Kulturen zu begegnen, ist eine Chance, ein Geschenk und eine Freude, die nicht dadurch gemindert wird, gemindert werden darf, dass diese zweite Sprache und Kultur einem von Kindesbeinen an, von den Eltern mitgegeben wurde, anstatt mühsam erlernt worden zu sein.
Lasst uns nicht vergessen, dieses Gefühl auch den Kindern zu vermitteln, nicht den problematischen Migrantenkindern, sondern Kindern, die eine Bereicherung für sich und andere in sich tragen. Und lasst uns abschlieÃend, wenn es denn sein muss, auch Käse essen.
Das ungeplante Kapitel
Ein ungeplantes Kapitel ist so ähnlich wie ein ungeplantes Kind. Etwas passiert. Und plötzlich weià man, dass sich so vieles geändert hat, noch mehr ändern wird, radikal ändern wird. Es ist Ãberraschung und Schock in einem, es bringt die Gedankenwelt komplett durcheinander, und man kann nichts dagegen tun. Man hat ein wenig Zeit, darüber nachzudenken, zu hadern, möglicherweise sich zu wünschen, es wäre nicht passiert, zu zweifeln, vielleicht sogar genug Zeit, um es erst einmal zu ignorieren und dann wieder zu grübeln. Aber irgendwann einmal kommt dann das Kind, und man kümmert sich darum, Schluss, aus. Oder wie im Falle dieses Kapitels: Man setzt sich hin und schreibt es auf.
Manche â insbesondere mein Mann â warfen mir seit Jahren naiven Optimismus vor angesichts meines Wir-Deutschlands, zu dem ich nicht weniger gehöre als mein seit Generationen schwäbischer blond-blauäugig-groÃer bester Freund. Zu dem auch die Frau aus dem Haus nebenan gehört, die nur Russisch spricht, aber während der WM eine Deutschland-Fahne auf dem Balkon hängen hatte. Und all die anderen auch.
Ich hielt und halte die WM-Deutschland-Euphorie nicht für die Lösung aller Integrationsprobleme und den Beweis dafür, dass die Deutschen ihre nationale Identität wiedergefunden hätten. Aber in meinem Deutschland lebten dennoch Wir, und morgens, wenn ich vom Spaziergang mit dem Hund zurückkam, bei dem ich die Menschen in
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