"Sie koennen aber gut Deutsch!"
kommunizierte man mit den Händen, auch die Vorarbeiter taten das; man unterschied nicht zwischen den einzelnen Gastarbeitergruppen. Alle arbeiteten, alle schliefen, wenn sie nicht arbeiteten, man kommunizierte mit seinen paar Brocken Deutsch, Händen und FüÃen, das reichte aus, wenn Sympathie vorhanden war.
Es ist nun fast zwanzig Jahre her, dass er mit seinen Freunden nach Deutschland kam â ohne Familie, ohne
Sprachkenntnisse, ohne Wissen über Deutschland. Heute hat er eine deutsche Frau, zwei Kinder, er arbeitet immer noch, im Sommer fährt er nach Griechenland, wie fast alle Griechen, die hier leben, wo es warm und schön ist. Zu keinem Zeitpunkt hat er die bewusste Entscheidung getroffen, für immer in Deutschland zu bleiben, es kam einfach so, würde er sagen, in einem Jahr hat er es aus dem Grund nicht geschafft, zurückzugehen, in dem nächsten aus einem anderen. Inzwischen wuchsen die Besitztümer in Deutschland, Möbel, ein Auto, aber auch die Zahl der Freunde wuchs, die Kenntnisse über, die Zuneigung zu diesem Land. Manchmal denkt er noch daran, zurückzugehen, also für immer in die Wärme und die Heimat zurückzugehen, so wie die meisten Gastarbeiter diesen Gedanken manchmal in ihren Köpfen aufblitzen sehen, aber er hat zwei Kinder, er hat eine Frau und seine Arbeit, und er hat das Griechische Haus in München, in dem er viel seiner spärlichen Freizeit verbringt. Da, wo die Griechen Münchens sich treffen, wo sie unter sich sind und die Sprache sprechen, die sie mit der Muttermilch aufgesaugt haben. Einer von ihnen sitzt an der Theke, lässt sich seine Souvlaki schmecken und liest die Münchner Abendzeitung. So ist das nun mal.
Gerasimos sagt: »Wenn du in einem Land bist, brauchst du die Sprache«, und er sagt auch: »Wenn ich ein Wort höre und nicht verstehe, dann ist schlimm«, und zur Selbstberuhigung sagt er dann noch: »Aber bayerischer Dialekt versteht niemand.« Gerasimos spricht Griechisch und ein Deutsch, das sein eigenes ist, nicht wahnsinnig viel, aber auf jeden Fall genug, genug für ihn. Er lebt seit zwanzig Jahren hier, und er tut das gerne.
Andrej lebt »erst« seit elf Jahren in Deutschland und war, als er sich entschloss, aus Russland auszuwandern, bereits
62 Jahre alt. In seinem früheren Leben, »dort«, hatte er als Ingenieur gearbeitet, Sprachen waren noch nie seine Stärke gewesen, schon in der Schule und an der Universität fiel ihm alles Sprachliche schwer. »Natürlich habe ich versucht, Deutsch zu lernen, habe einen Kurs gemacht, zuhause gebüffelt, nur im Kopf ist nichts geblieben«, sagt er in schönstem Russisch. Er sagt es mit einem Lächeln, es macht ihm nichts, seine Frau spricht »ganz gut« Deutsch, das ist ihre Domäne. Sie schreibt die Briefe, er trägt sie zur Post. Komplexe hat auch Andrej nicht. Er hat zuhause seinen Computer und ein Stadtviertel weiter seine Enkel, einen kleinen Garten hat er auch, dort werkelt er bei gutem Wetter herum. Sein Zuhause ist »jetzt hier«, und wenn er sagt, dass er die Sprache nicht spricht, dann stimmt das nicht ganz, er versteht viel, und statt des russischen »Ðй, ÑÑÑÑ!«, sagt er nun, wenn ihm etwas herunterfällt, »ScheiÃe«.
Jeder spricht die Sprache auf seine Weise, und die Erwartung, dass beispielsweise Kinder, die aus welchen Gründen auch immer, mit einer anderen Muttersprache aufgewachsen sind, das Deutsche beherrschen oder in seiner Perfektion in einer Geschwindigkeit lernen müssten, die allenfalls Genies zueigen ist, ist nicht nur unrealistisch und anmaÃend, sondern auch entmutigend. Warum begegnet man Schülern, deren Deutsch nicht akzent- und nicht fehlerfrei klingt, mit einer Vorsicht, hinter der sich meistens auch eine gewisse Geringschätzung verbirgt? Wo ist das Vertrauen in die Lernfähigkeit und die -freude kleiner Menschen geblieben, das Vertrauen, dass sie in Geschichte und in Biologie, für die sie ebendieses Deutsch brauchen, schon noch aufholen werden? In der ihnen eigenen Geschwindigkeit eben? Nichts zerstört diese Lernbegierde mehr als Kommentare wie diese: »Ach, das werden sie nicht schaffen, die können ja noch nicht mal richtig
Deutsch.« Ein Kommentar, den ich in meinen Schreibwerkstätten nicht nur einmal hörte. Und daran erinnere ich mich noch selbst: Egal, wie wenig man noch (!) von der Sprache versteht, das zwischen
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