"Sie koennen aber gut Deutsch!"
noch besseren Ort machen könnte. An dem Tag, den ich verpasst hatte, hatte man
sich mit einem jungen, interessierten, politisch und gesellschaftlich engagierten, beruflich erfolgreichen Mann mit Migrationshintergrund getroffen. Als ich ankam, fragte ich, wie das Treffen war. Ich fragte eine »urdeutsche« Bekannte.
»Etwas unangenehm«, sagte sie. »Wir haben ihn zum Beispiel nach der politischen Situation in seiner Heimat gefragt, da hat er pikiert reagiert und nur gemeint, seine Heimat sei Berlin, Berlin gehe es ganz gut, wie wir sehen könnten, wenn wir aus dem Fenster schauten. Aber in einem Tonfall ⦠Oder wir haben ihn gefragt, wo er seine Identität verwurzelt sähe, da hat er ähnlich patzig reagiert. Wir haben uns doch nur interessiert â¦Â«
Ich fragte dann einen Bekannten »mit Migrationshintergrund«, wie er das Treffen empfunden habe, nicht um eine andere Meinung zu hören, sondern um Small Talk zu machen.
»Etwas unangenehm«, sagte er. »Die meisten Teilnehmer haben die üblichen Fragen gestellt, kennen wir ja alles zur Genüge. Wo sein Zuhause sei, und als was er sich denn nun fühlen würde, nach der politischen Situation im Land, aus dem seine Eltern stammen. Und sie wollten überhaupt nicht verstehen, was ihn daran störte! Dass er einfach mal wieder abgestempelt wurde als der mit Migrationshintergrund.«
Ich verstand beide und wollte so gerne, dass sie sich auch gegenseitig verstehen. Die Be- und Ãberempfindlichkeiten, die Ãngste auf beiden Seiten. Ich wollte meiner »urdeutschen« Bekannten, die nichts weiter als Interesse zeigte, so schätze ich sie ein, gerne sagen, dass ich das Verhalten des Gesprächspartners unangemessen fand, dass es unfair sei, auf Interesse so übersensibel zu reagieren. Und gleichzeitig auch antworten: Ihr habt euch getroffen, um über die politische Situation in Deutschland heute zu diskutieren. Warum fragt ihr ihn nach seiner angeblichen Heimat? Warum unterstellt ihr ihm, seine
Heimat sei nicht Deutschland, über dessen politische Gegenwart und Zukunft er sich trotz eines vollen Terminkalenders mit euch zu diskutieren die Zeit genommen hat? Warum reduziert ihr ihn auf die eine Tatsache, dass seine Eltern nicht hier geboren sind? Ich bin als russisch-jüdische Deutsche, wie ich manchmal bezeichnet werde, an der EU- oder USA-Politik nicht weniger interessiert als an Putins Machenschaften und dem Siedlungsproblem im Westjordanland, stell dir das mal vor! Meinen anderen Bekannten wollte ich ebenso gerne zurechtweisen, ihm Empfindlichkeit und Ãbersensibilität vorwerfen, ihm sagen, dass diese Art von Interesse doch nachvollziehbar sei. Ich wollte gerne aus dem Deutschen ins Deutsche übersetzen.
Angst machen weiterhin Diskussionen. Begrifflichkeiten, Assoziationen, die in diesen auftauchen. Auch die letzte um Thilo Sarrazins Buch, ob ihrer Heftigkeit, ob ihrer Auswirkungen, ob ihrer Allgegenwärtigkeit in allen Milieus und Schichten, ob ihres Wandels von: Sarrazins ÃuÃerungen sind »nur verletzend« zu »Multikulti ist gescheitert« aus dem Munde derselben bundesdeutschen Kanzlerin. Ob der Wortwahl dieser gesamten Debatte. Die mich an den Geschichtsunterricht erinnerte, in dem wir lernten, Jahr für Jahr wiederholten, wie der Antisemitismus, damals in der Schule meist noch Judenhass genannt, sich auf solch verheerende Weise ausbreiten konnte, wo der Nationalsozialismus seine Wurzeln hatte, warum er so viele Anhänger fand. Zum Beispiel, wenn die Diskussion, ob muslimische Schülerinnen und Schüler am gemischten Sport-, Schwimm- oder Sexualkundeunterricht teilnehmen müssen, einen unwillkürlich an die Diskussion aus den zwanziger Jahren denken lässt, ob jüdische Schüler am Samstag den Schulunterricht besuchen müssen oder aufgrund ihrer Religion, in der der Samstag als Schabbat heilig ist,
zuhause bleiben dürften. Dürfen sie nicht, später kommen sie ins KZ. Solche Gedanken machen Angst. Genauso wie die alte Dame, die aus dem Bus aussteigt, während gleichzeitig zwei Jugendliche mit, wie sagt man das politisch korrekt, leicht ausländischem (?) Aussehen einsteigen wollen. Sie wollen nicht drängeln, sie haben die alte Dame nicht rechtzeitig gesehen, weil sie den Busausgang ein paar Sekunden nach allen anderen Fahrgästen erreicht hat. Sie raunzt die Jugendlichen an: »Erst aussteigen lassen, dann einsteigen!« und fügt
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