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"Sie koennen aber gut Deutsch!"

"Sie koennen aber gut Deutsch!"

Titel: "Sie koennen aber gut Deutsch!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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zur Begrüßung förmlich die Hand gebe, anstatt die Menschen stürmisch zu umarmen. Und ich kann sagen: Dieser Gedanke macht mir Angst. Dass ich die – für mich umso bedeutenderen, weil inzwischen so kleinen – Reste meines russischen Ichs, die Kinderlieder, den Geschmack pappsüßer Geburtstagstorten auf der Zunge, den emotionalen Drang, Menschen zu sagen, was sie mir bedeuten, meine Sehnsucht nach Birkengeruch abgeben muss, um deutsch zu sein. Deutsch zu sein? Will ich das? Kann ich nicht deutsch-russisch sein oder russisch-deutsch oder sonst irgendeine Mischung sein? Also noch einmal umformuliert: Dass ich die Reste meines russischen Ichs abgeben muss, um mich in Deutschland zuhause zu fühlen.

    Das macht nicht nur Angst. Das ist etwas, und darüber muss ich nicht nachdenken, ein Preis, den zu zahlen ich nicht bereit wäre.
    Manchmal machen mir – und ich maße mir jetzt mal an zu sagen: uns, die wir Migranten genannt werden – auch Angst: einfach nur die Fragen. Die Fragen, die vielleicht gutgemeint sind, vielleicht sogar von Interesse geleitet, das eine oder andere Mal auch sicherlich von einem geheuchelten Interesse, die uns aber im Grunde das Gefühl vermitteln: Nein, du gehörst hier nicht dazu. Das glaubst du nur. Fragen wie: »Na, fährst du im Sommer wieder nachhause?« Und man denkt sich, wieso nachhause, nachhause fahre ich in zwei Stunden oder auch gleich, nachdem ich die Biere bezahlt habe, die wir gerade zusammen trinken. Und: Wo willst du mich denn hinschicken, bitte? In ein Land, das ich kaum kenne, in dem ich mich häufiger fremd fühle als in jedem anderen Land der Welt, wohl, weil ich den Anspruch nicht loswerde, ich müsste mich da auch ein wenig heimisch fühlen.
    Auch Sätze wie: »Sie sprechen aber gut Deutsch!« können weh tun. Ein Bekannter von mir, der in Deutschland geboren wurde und die Heimat seiner Eltern von zwei Besuchen sowie einem Bildband kannte, der im Haus seiner Eltern auf dem Couchtisch lag, nicht, weil sie die Bilder häufig anschauten, sondern meinten, in einem deutschen Bildungshaushalt hätten auf dem Couchtisch Bildbände zu liegen, antwortete auf diese Frage immer: »Sie aber auch!« Das klingt höchstwahrscheinlich nicht besonders freundlich und stößt die Fragenden bestimmt vor den Kopf, aber vor den Kopf gestoßen fühlt auch er sich, sagt er, immer und immer wieder, wenn die Menschen sein Zuhause, seine Heimat mit diesem einen Satz in Frage stellen. »Sie sprechen aber gut Deutsch!« Was soll ich denn sonst sprechen?

    Schön ist auch: »Du bist doch nicht gemeint!« »Du bist doch nicht gemeint!« macht Angst, weil es deutlich macht, dass ich gemeint sein könnte. Es macht Angst, weil es daran erinnert, wie unsensible Lehrer gute Schüler nach vorne an die Tafel holten und sie der Klasse als »wenn man lernt wie Julia/ Tom/Daniel/Kathrin, dann schreibt man auch eine gute Note, und mit guten Noten stehen einem später alle Türen offen …« präsentierten; die »Streber«-Rufe in der großen Pause waren einem garantiert, auch das Gefühl der Traurigkeit und der Einsamkeit, wenn man sein Pausenbrot alleine, möglichst unsichtbar in eine Ecke verkrümelt, aß, der Streber und sein Brot. Aus einer Masse hervorgehoben zu werden, aus der man nicht hervorgehoben werden möchte, erst recht nicht in dieser herablassenden Art. »Du bist doch nicht gemeint!«, nach Tiraden über integrationsunwillige Ausländer im Allgemeinen, über die alte griechische Nachbarin, die seit 40 Jahren hier lebt und kein Deutsch spricht im Besonderen und schwarzdunkle Prognosen über ein islamistisches Deutschland weckt in mir den Wunsch, doch lieber gemeint zu sein. Nicht auf der falschen Seite gelandet zu sein.
    Es ist nicht einfach. Fragen können unterschiedlich gemeint, unterschiedlich verstanden werden, und manchmal brauchen Fragen Übersetzer, nicht aufgrund der nicht vorhandenen gemeinsamen Sprache, sondern weil sie von vorneherein mit Ängsten befrachtet sind.
    Ich traf einen Tag zu spät auf einer Veranstaltung junger, interessierter, politisch und gesellschaftlich engagierter, beruflich erfolgreicher Menschen ein, die von einer Stiftung eingeladen worden waren, sich gemeinsam und interdisziplinär – interdisziplinär ist heute immer gut – Gedanken darüber zu machen, wie man Deutschland zu einem

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