"Sie koennen aber gut Deutsch!"
Kinderlieder kennen und singen und russische Sauerampfersuppe lieben? Oder hätte ihr deutscher Nachname sowie der Deutsch sprechende Vater dies wettgemacht? Ich würde meine Kinder gerne vor dem Nachwuchs der Eltern, die ihren Kleinen solche Gedanken einpflanzen, schützen, aber das geht ja nicht.
Was kann, muss man tun? Deutsch zu beherrschen reicht ja offensichtlich nicht, sonst müsste meine Freundin nicht das Gefühl haben, ihren »ic«-Nachnamen am Telefon verschweigen zu müssen. Sich zum Land bekennen, aber wie? Sich ein Schild um den Hals hängen, auf dem steht »Ich bekenne mich zu Deutschland!«? Bei FuÃballspielern der deutschen Nationalmannschaft scheint es zum Beispiel von der Frage abzuhängen, ob sie die deutsche Nationalhymne vor einem Länderspiel mitsingen oder nicht. Warum? Was sagt es aus? Ãber sie, über uns, die wir das beobachten oder, schlimmer noch, über unser Land? Ich habe versucht, dieses Phänomen in internationalen Medien wiederzufinden, aber weder die Franzosen noch die Amerikaner scheint die Frage zu quälen, ob die »Migrations«-FuÃballer ihrer Nationalmannschaften die Landeshymne singen oder nicht. Uns hingegen hat, der Berichterstattung nach zu urteilen, die Frage, ob Podolski, Khedira und Ãzil nun mitsingen (werden) oder sich verweigern, man beachte die Wortwahl, kaum weniger beschäftigt als die nach ihren Spielfähigkeiten. Dabei hat eine EMNID-Umfrage bereits 2009 ergeben,
dass noch nicht einmal jeder zweite Deutsche den Text der Nationalhymne beherrscht. In meinem Bekanntenkreis gibt es übrigens den einen oder anderen »Ultralinken« mit urdeutschen Wurzeln, urdeutschem Namen und urdeutschen Vorfahren, die niemals und unter gar keinen Umständen die deutsche Nationalhymne anstimmen würden, weil sie den deutschen Staat als Rechtsstaat in Frage stellen, sich dafür schämen, Deutsche zu sein, und dabei mit Argumenten um sich werfen, die auÃerhalb der »ultralinken« Kreise kaum jemand nachvollziehen kann. Warum machen diese Menschen der groÃen Mehrheit weniger Angst als diejenigen, die nun einmal in ihrer Kindheit eine andere Nationalhymne hörten und denen die deutsche deshalb fremd ist?
Die Angst lebt übrigens auf beiden Seiten, das muss man so deutlich sagen, auch wenn ich diese Form der Zweiteilung nicht mag. Aber Angst ist nun einmal meist die Angst vor etwas Fremdem, vor etwas, das (angeblich) anders ist, und damit vor einer anderen Seite. Auch als fremd abgestempelte Migranten haben Angst. Angst zum Beispiel davor, ihr eigenes Ich, ihre Herkunft, ihre Sitten und Gebräuche abgeben zu müssen. Abgeben im Sinne von: Meine Briefmarkensammlung musste ich in der Heimat zurücklassen, die Muscheln, die ich als Kind mit dem GroÃvater sammelte, den schönen, alten Esstisch, an dem all meine Kinder ihren ersten Brei gelöffelt haben, nun muss ich auch noch meine Identität abgeben. Meine Kultur, meine Bräuche, meine Muttersprache (immerhin enthält der Begriff das Wort Mutter!), mein früheres Ich. Ich muss jetzt deutsch werden, mich assimilieren, das, was ich kenne, aufgeben, um hier willkommen zu sein, und das ist ein Gedanke, der nicht nur Angst einflöÃend ist, sondern auch in gewisser Weise menschenverachtend. Dass man sein Selbst, sein Ich, all jenes, was man in den vielen (oder auch nicht so
vielen) Jahren seines Lebens aus Erfahrungen, Gerüchen, Traditionen, Eigenheiten, Charaktereigenschaften in sich gesammelt hat, was einen selbst letztendlich ausmacht, zu dem formt, der man ist, wenn man in den Spiegel blickt, abgeben muss. Dass all das keinerlei Respekt verdient, so wertlos ist, dass man es gedankenlos hinter sich lassen kann. Um jemand Neues â also ein Deutscher â zu werden. Ist das nicht absurd? Ist das nicht ein Science-Fiction-Film aus Hollywood, in dem es um in dreiÃig Jahren produzierte, perfekte Menschen geht, und wer nicht passt, wird aussortiert? Ein Science-Fiction-Film, den man schaut, weil er spannend ist und unterhaltsam, nicht realistisch?
Ich habe keine Angst vor dem Deutschsein, in welcher Form auch immer. Ich habe nun beinahe zwei Drittel meines Lebens hier verbracht, mein Deutsch ist weitaus besser als meine Muttersprache, bei Besuchen in Russland finde ich mich nicht immer zurecht, weil ich mit den deutschen Benimm-Codes, die ich mitbringe, immer wieder an Mauern und meine Grenzen stoÃe, wenn ich zum Beispiel
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