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Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Roux
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es«, und schüttle den Kopf.
    »Roll deine Augen noch doller, und du sammelst deine Pupillen aus dem Dreck auf.«
    »Hörst du jemals auf? Ich meine … überhaupt mal?«
    »Nöö.«
    Der Whiskey ist gut, ein brennender Mund voll Honigrauch. Ich fühle den Pfad, als er meine Kehle hinunterläuft und alles wärmt, an dem er vorbeikommt. Einen Moment sitzen wir schweigend da. Die farblose, graue Welt breitet sich vor uns aus, gekräuselt von Schmerz und Gefahr. Ich frage mich, wie viele gerade jetzt zu uns unterwegs sind, wie viele auf gebrochenen Beinen hoppeln, mit ausgerissenen Gliedern, und alle zu uns kommen. Welche Schmerzen spüren sie? Ich hoffe, sie leiden nicht. Ich hoffe, dass ihre Existenz taub ist.
    »Wenn nicht Ted, wer ist es dann?«
    Julian reißt mir die Flasche aus der Hand und hält auf halbem Weg zum Mund inne. Er wartet auf meine Antwort. Für einen totalen Schwachkopf sieht er gar nicht so behindert aus, physisch ohnehin nicht.
    »Oh Himmel, ich kann einfach nicht mit dir, weil – Schock und Horror – ich dich nicht attraktiv finde, klar? Ich weiß, als Arzt ist man wahrscheinlich daran gewöhnt, dass die Mädels sich einem an den Hals werfen, aber das gilt nicht für mich.«
    »Okey dokey«, sagt Julian, zuckt die Schultern und nickt in Richtung des Feldes vor uns. Ein weiterer Stöhner hinkt auf uns zu, und ich nehme ihn aufs Korn. »Aber wer ist er?«
    »Er ist einfach … ein Kerl. Ein verheirateter Kerl. Ein blöder, verheirateter Kerl, den ich nie wiedersehen werde. Zufrieden?«
    »Nicht wirklich«, sagt er und schlürft den Whiskey. »Aber es ist ein Anfang. Ich nehme an, entgegen aller Scheißwahrscheinlichkeiten ist die Ehefrau immer noch im Film?«
    »Tja.« Die Pistole kracht, trifft den Stöhner genau in die Stirn.
    »Ah-ha, und du kannst sie nicht gerade besonders gut leiden?«
    »Nein.«
    »Hast du ihm das gesagt?«
    »Bist du doch kein Doktor? Wo zur Hölle sind deine Krankenbettmanieren? Was für ein Doktor bist du eigentlich? Nein, warte, lass mich raten, Gynäkologe?«
    »Das würde dir gefallen, nicht wahr? Und was meine Bettmanieren angeht – ich habe schon angeboten, sie dir vorzuführen, und falls du dich erinnerst – und das tust du –, hast du mich abblitzen lassen.« Er macht eine Pause, zögert einen Moment und nimmt dann einen weiteren Schluck Whiskey. Dann, in die Ferne blinzelnd, sagt er: »Ich war Kinderarzt.«
    »Wow, Kinder?«
    »Kinder.«
    »Das muss hart sein.«
    »Das ist es.« Seine Stimme klingt jetzt tief und leise, aber sie rutscht noch ein gutes Stück tiefer, als er hinzufügt: »Wenn es gut läuft, ist es genau das, was man sein will.«
    »Siehst du, das ist schön. Ich mag dich lieber, wenn du nicht so, na, du weißt schon, nicht so ein Pisser bist.«
    Einen Augenblick bin ich sicher, dass er eine schnippische Retourkutsche bereit hat, aber er schweigt und reibt sich nachdenklich das Kinn. Das Licht wirkt befremdlich, ein tiefes Dunkel und dabei doch von Sternen glitzernd. Ohne die Lichter von Iowa City, die selbst den Mond verblassen lassen, hypnotisiert einen das Glühen am Himmel. Ich will erst versuchen, das in Worte zu fassen, behalte es dann aber für mich. Julian hat die Hosen gewechselt. Die einbeinige Hose ist einer abgewetzten Khakilatzhose gewichen. Er kleidet sich wie ein australischer Rinderzüchter, wie ein Raubein. Allerdings fällt es jetzt leichter, sich ihn in einem Doktorkittel vorzustellen.
    »So«, sagt er nach dem langen Schweigen. »Weiß der verheiratete Kerl, dass es dich so zerreißt?«
    »Das ist nicht deine Angelegenheit, wirklich.«
    »Hast du heute noch dringende Termine? Nein? Ich glaube nicht.«
    »Du bist ein Mann«, erkläre ich ihm zuliebe. Er gibt mir die Whiskeyflasche. »Würdest du es wissen?«
    »Puh, das ist schwierig. Aber«, sagt er und vollführt eine ausholende Geste mit seiner Hand, bis sie schließlich auf seine Brust weist, »wenn es um mich ginge, vielleicht bräuchte ich jemanden, der mir mal eine Kopfwäsche verpasst und sagt: ›Hey, du Idiot, deine Frau ist eine blutsaugende Harpyie.‹«
    »Das ist nicht mein Job. Ich hab auch gar nicht das Recht …« Hier sollte ich jetzt aufhören, doch der Whiskey entfaltet seine Wirkung und mir ist nach Reden. Und, zugegeben, unglücklicherweise hilft Reden. »Eine Freundin von mir hat es mal so ausgedrückt: Wenn du einen Kerl magst, der eine Freundin hat, dann ist es nur fair, es ihm zu sagen. Wenn er dich mehr mag als sie, dann hast du es geschafft, wenn

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