Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Roux
Vom Netzwerk:
gerade in meinem Kopf das passende Plakat. Überschrift: ZÖLIBAT – Hey, Arschlöcher, Versuch macht klug. In Times New Roman. Nur Großbuchstaben. Und genau darüber ein großes Ölgemälde von einem industriell gefertigten Keuschheitsgürtel.«
    »Meinst du nicht eher ein großes, triefendes rotes Herz?«, fragt Renny ungerührt von meinem versteinerten Blick. »Sei nicht so verklemmt. Du kannst mich nicht täuschen, wenn es um diesen Mist geht.«
    »Offensichtlich täusche ich niemanden . Also gut, Miss Marple, es hat nichts mit Ideologie zu tun. Jetzt zufrieden?«
    »Absolut. Ich habe deinen Freund Collin kaum gekannt«, sagt sie und blickt mich eindringlich von der Seite an, »aber, um eine Phrase zu bemühen, er wirkt wie ein guter Kerl. Seine Frau dagegen …«
    »Ha. Das musst du mir nicht erzählen.«
    Unser Lachen erstirbt, und wir stehen verlassen in der kalten, bedrohlichen Nacht herum. In ihrem Gesicht ist etwas Offenes und völlig Neues, das mir sagt, ich kann ihr vertrauen. Ich frage mich, ob sie Geschwister hat. Kleinere Geschwister. Menschen, die zu ihr aufsehen und ihr vertrauen, sich fest verlassen auf diesen weit offenen, willkommen heißenden Blick. Ich könnte mich darin einkuscheln.
    »Gibt es etwas, das du mir erzählen möchtest?«, fragt sie.
    »Ich will … Vermutlich fühle ich mich schlecht, weil ich so an diesem Moralscheiß hänge. Ich weiß, logischerweise müsste ich dieses Monogamiegebot widerrufen. Es gibt neue Bedürfnisse, weißt du? Neue Maßstäbe. Wir könnten eine gefährdete Art sein. Aber etwas hindert mich daran, weiterzugehen. Ich brauche mehr Zeit, irgendwann wird es leichter, dann höre ich auf, an ihn zu denken … Nein, das werde ich nicht. Das weiß ich jetzt.« Rennys warmer und beruhigender Blick lässt mich wissen, dass sie diese Straße auch schon entlanggegangen ist.
    »Du hast recht«, sagt sie. »Du wirst nicht aufhören, aber das bedeutet nicht, dass es nicht leichter wird.«
    »War sie hübsch?«
    »Wie ein schimmernder neuer Lippenstift.« In der Dunkelheit höre ich das Lächeln in ihrer Stimme.
    »Hast du vielleicht mal daran gedacht … ich meine, was, wenn wir die letzten Menschen der Erde wären?«, sage ich. »Würdest du … Du weißt schon … ein Kind haben wollen?«
    Sie wechselt das Standbein und stützt sich mit dem anderen an die Mauer, an der ich lehne. Dann lacht sie leise und atmet langsam aus, wie nach einem tiefen Zug an einer Zigarette. »Bei meinem Coming-out hat mich meine Mutter dasselbe gefragt.«
    »Du verarschst mich.«
    »Nein, sie hat mich das tatsächlich gefragt. Direkt beim Thanksgiving-Essen. Sie hatte wirklich Eier, diese Frau, Eier wie aus Messing, aber sie vergaß dabei, dass sie meine Mama ist und ich diese Eier von ihr geerbt habe. Also sagte ich: ›Nein, Ma, nein, das würde ich nicht. Nicht jetzt. Nicht irgendwann. Nicht am Ende der Welt oder an ihrem beschissenen Anfang. Ich würde nicht, könnte nicht, weder auf der Arche Noah noch sonst wo, also verpiss dich.‹«
    »Ich wette, das kam gut rüber.«
    »Sie hat danach einen Monat lang nicht mit mir geredet«, sagt Renny gackernd. »Aber jetzt? Scheiß drauf, ich würd’s wahrscheinlich machen, ich meine, wenn es wirklich eng wird. Ich habe zu meiner Mutter nein gesagt, weil ich wusste, warum sie mich gefragt hat. Sie wollte, dass ich einräume, tief drinnen doch ein gutes christliches Mädchen zu sein. Aber das bin ich nicht, und das musste sie einsehen.«
    »Tu es nicht«, sage ich. »Selbst wenn du die letzte Frau auf der Welt bist.«
    »Meinst du das ernst?«
    »Absolut. Ich meine, wo ist der Sinn? Wenn es das ist, was du einem Kind geben kannst«, sage ich und deute über das matschige Feld mit den dampfenden Leichen. »Wenn das die Zukunft ist, in die sie blicken müssen, ist es besser, du bleibst, was du bist, und besinnst dich auf das, woran du glaubst. Das ist am Ende wertvoller, denke ich.«
    Es ist eine dieser schlimmen Nächte, eine ungemütliche, einsame Nacht, und ich wünschte, ich hätte diesen Whiskey nicht davonziehen lassen. Ich wünschte, ich könnte ein wenig Mary Poppins hören, gepfiffen in der Dunkelheit.
    KOMMENTARE
    C in C:
    2. November 2009 19:09 Uhr
    Das Privileg und der Herzschmerz der Ehe sind nur das Bild, das sie für die äußere Welt darstellt. Wenn ein Stern explodiert, gibt es ein bisschen mehr Zerstörung im Universum, aber es gibt auch ein bisschen mehr Schönheit darin, richtig? Ich sollte mehr dazu sagen, aber ich weiß

Weitere Kostenlose Bücher