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Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Roux
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öffne. Dapper will auf die Ladefläche springen, aber ich schiebe ihn aus dem Weg.
    »Was machst du? Wir müssen los!«, schreit Nanette und rüttelt mich an den Schultern. Renny zieht sie weg und versucht, sie zu beruhigen, doch Nanettte schlägt auf sie ein.
    »Du verstehst nicht! Die töten uns!«
    »Jetzt beruhige dich«, murmele ich und wühle mich durch eine fünf Zentimeter dicke Schicht aus Schrauben, Nägeln, Alteisen, Sandpapier und leeren Marmeladengläsern. Die Kälte macht mir nichts aus. Ich fühle, wie der Schweiß sich an meinen Schläfen sammelt. Ich grabsche eine Hand voll Schrauben und schiebe sie Renny rüber. »Wenn Julian zurückkommt, sag ihm, er soll ein paar davon in die Cocktails werfen.«
    » In was? «
    »Sag’s ihm einfach … Du wirst schon sehen, wenn er kommt.«
    Sie starren mich an und warten, warten darauf, dass ich sie rette. Ha, ha, Julian, will ich schreien, siehst du, was passiert, wenn niemand hart ist? Wenn keiner führt? Sie sind paralysiert, bewegungslos, erstarrt von der Gefahr, die sie für unüberwindbar halten. Aber es ist nicht zu spät, noch nicht …
    »Weg da!«
    Julian! In seinem gesunden Arm hält er Flaschen, aus denen Benzin über seinen Ärmel schwappt, während er mit Höchstgeschwindigkeit auf uns zuhumpelt. Total vergnügt beugt er sich über die Heckklappe und stellt die Gläser und Flaschen in einer Reihe ab. Leute aus dem Lager, die ich noch keine Gelegenheit hatte kennenzulernen, haben sich um den Truck versammelt. Ein Ehepaar mit einem kleinen spanischen Mädchen zwischen ihnen und zwei Teenagerjungs. Ich kenne ihre Namen nicht und habe sie nur kurz gesehen, als sie von Zelt zu Zelt gegangen sind. »Eins, zwei, drei, vier, fünf … sechs!«, sagt Julian und tritt von seinem Werk zurück, als wollte er sagen: »Hab ich das nicht großartig gemacht?«
    »Hier«, meint Renny, »Allison sagt, die sollst du dazutun.«
    Als die Schrauben in das Benzin plumpsen, kommt mir endlich eine brauchbare Idee.
    »Hat jemand ein Paar Handschuhe?«, rufe ich. Meine Finger entstauben den Verschluss einer großen Plastikflasche. Ich drehe sie um, um sie anzusehen. Auf dem verblichenen Etikett kann ich einen kleinen schwarzen Aufdruck erkennen.
    NaOH
    Ich denke an Ted, wie er chemische Formeln rezitiert, wenn er schlafen geht. Dieses traurige, kindliche Geflüster in der Dunkelheit. Ich denke an ihn, wie er zusammengerollt hinten in einer verwüsteten Limousine in seinem verkrusteten Blut liegt, und ich weiß genau, dass dies der richtige Weg ist. Diese kleine Flasche ist der Schlüssel.
    »Da sollten ein Paar Arbeitshandschuhe in der Werkzeugtasche sein«, sagt Dobbs und drängt sich durch die anderen. Er deutet auf ein ausgeleiertes Paar lederverstärkter Arbeitshandschuhe in Männergröße. Sie sind viel zu groß für meine Hände.
    »Die passen nicht«, sage ich. »Sonst noch jemand?«
    Ich ziehe die Plastikflasche heraus und stelle sie beiseite. Die Lunchbox riecht nach verfaulten Äpfeln und moderndem Käse, aber ich trotze dem Gestank lange genug, um einen gebrauchten Brotbeutel herauszuziehen. Es klopft gegen meine Hüfte, und ich sehe hinab auf das kleine Mädchen, das mir ein Paar schwarze Fleecehandschuhe hinhält. Ich ziehe sie an. Sie sind bequem und passen. Auf die Handrücken hat jemand schwarze Katzen und Zuckermaiskolben gestickt.
    »Bist du sicher?«, frage ich.
    »Ja. Meine Schwester braucht sie nicht mehr.« Sie huscht zurück zu dem Mann und der Frau und duckt sich hinter sie. Sie sehen nicht aus wie ihre biologischen Eltern, aber das bedeutet nichts. Sie geht jedenfalls zu ihnen und hängt mit beiden Händen an ihren Knien.
    »Was sollen wir tun?«, fragt Dobbs, nimmt seinen Stetson ab und wirft ihn in den Truck.
    »Holt alle zusammen und …«
    Gewehrfeuer setzt ein. Erst leise, dann schnell lauter, als die Landwehr näher kommt. Sie legen Sperrfeuer auf das Lager. Dicht gedrängt hocken wir hinter dem Pick-up und seiner hoch aufragenden Ladung in Deckung. Das kleine Mädchen hält sich die Hände vor die Augen.
    »Da lang!«, deute ich und versuche den Lärm zu überschreien. »Rennt, so schnell ihr könnt, und duckt euch dabei.«
    »Aber unsere Sachen!«, protestiert Nanette und gestikuliert zum Pick-up.
    »Die kannst du später holen. Jetzt musst du so weit wie möglich von hier weg.«
    Dobbs nimmt Maria an der Hand und schleicht geduckt los. Er führt die Gruppe vom Truck weg und nutzt ihn dabei als Deckung. Die Vorderseite des Wagens liegt unter

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