Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)
Ein Auto kann man Tag und Nacht um die Bahn jagen, es wird sich nicht beklagen. Greyhounds sind genauso. Sie klagen nicht, niemals, sie sehen einen lediglich mit ihren großen, unendlich tiefen Augen an und bitten darum, freundlich zu sein, ein bisschen Gnade zu zeigen, wenn es beliebt.
Joey war von jener Sorte, die nicht mal einer verletzten Fliege was antun würde. Eines Tages schoss er aus der Haustür an mir vorbei. Ich glaube, da waren keine zwanzig Zentimeter Platz, aber er schlüpfte in Windeseile durch und auf den Hof. Bevor ich seinen Namen zweimal rufen konnte, hatte er einen Hasen gerissen. Joey war so schnell, so effizient, so völlig anders als das Kuschelhündchen, das ich bis dahin kannte.
Es war nicht Joey, der den Hasen getötet hatte, nicht wirklich, sondern sein Instinkt, sein Jagdtrieb.
Jagdtrieb.
Das ist es, was vor unserer Tür wartet. Wahnsinnig vor Hunger, getrieben von einem blinden, verzehrenden Bedürfnis nach etwas, was wir haben.
Ich versuche, extrem ruhig zu bleiben, und hoffe, dass mir das halbwegs gelingt. Seltsamerweise hilft mir das Schreiben dabei, es tut gut, alles loszuwerden. Irgendwie macht es alles weniger real. Es wird zu einer Story, die ich aufschreibe. Es kommt mir vor, als würde ich mir ein Märchen für Sie ausdenken, als wäre es nicht die kalte, bösartige Wirklichkeit, die alles unterlegt, was ich tue und sage und denke. Es ist schön, zur Abwechslung etwas zu tun, was ich möchte. Und ich glaube, das vermisse ich am meisten: eine Wahl zu haben.
Es gibt nicht mehr viele Wahlmöglichkeiten. Es gibt nur Überleben, tun, was getan werden muss. Bald werden wir durch diese Tür rausgehen müssen, um Essen zu besorgen. Vorne bei den Registrierkassen gibt es noch größere Kühlschränke und etwa ein Dutzend Tüten Kartoffelchips. Da müssen wir bald hin. Uns bleibt keine Wahl. Ich habe es mir nicht ausgesucht, in der Falle zu sitzen, mit diesen Kollegen und Fremden, die ich über die Verbindung zu meinem Teilzeitjob hinaus nie näher kennenlernen wollte. Ich habe es mir nicht ausgesucht, von meiner Mutter getrennt zu werden, das Einzige an Familie, was mir noch geblieben ist. Sie kränkelt, und ich werde nicht mal bis zum Ende bei ihr sein.
Ich habe studiert, wollte etwas Tolles werden, aber das ist vorbei. Jetzt gibt es nur noch diese Leute, die ich nicht wirklich kenne, die permanente, lähmende Angst und den Trieb der Infizierten – ich glaube, ich verstehe es, ich verstehe den Grund, warum diese Dinger grunzen und vor der Tür herumschlurfen, den Grund, warum Joey den Hasen ermordet hat. Es liegt in unserem Blut, in unseren Herzen, der Hunger, der Ehrgeiz, der absolute Drang zu überleben. Ich wollte hier bloß arbeiten, um ein bisschen Geld zu verdienen, und nun werde ich hier sterben.
Vielleicht schreibe ich bald wieder … Wenigstens ist das ein kleiner Trost, etwas, worauf ich mich freuen kann. Ich sollte meinen Laptop zuklappen und etwas schlafen. Aufhören, auf den flimmernden Bildschirm zu starren. Es ist hypnotisierend, und ich kann nicht wegsehen. Aber ich werde mich jetzt zwingen, mich hinzulegen, meine Augen zu schließen und meine Ohren zu bedecken.
Sie kommen.
Sie kommen, und ich glaube nicht, dass wir es jemals hier rausschaffen.
KOMMENTARE
Anonymus:
18. September 2009
Die Stadt ist überrannt, Chicago ist auch verloren. Verschwindet aus der Stadt. Verschwindet, so schnell ihr könnt.
Allison:
18. September 2009
Überrannt? Sie meinen vollständig? Wie sind Sie rausgekommen? Sagen Sie es uns, wenn Sie irgendwo einen sicheren Ort gefunden haben.
Luis Wu:
18. September 2009
Hallo, Allison,
seid ihr noch da draußen?
Wir haben deinen Blog bisher im Stillen verfolgt. Ich kann unseren Aufenthalt nicht preisgeben – tut mir leid, aber in unserer Gegend sind plündernde Überlebende unterwegs. Passt gut auf. Benutzt du das SNet? Es scheint das einzige Netzwerk zu sein, das noch stabil läuft. Hoffe, ihr haltet weiter durch.
Allison:
18. September 2009
Ich verstehe. Schreibt nicht, wo ihr seid. Bleibt in Sicherheit, seid klug und wachsam. Das SN et hat eine stabile Verbindung. Lasst uns hoffen, dass das nicht plötzlich aufhört! Haltet mich auf dem Laufenden, wenn ihr könnt.
19. S EPTEMBER 2009 – K RIEGSBEIL
Die meisten von uns sind nicht gerade das, was man Athleten nennen würde. Insofern habe ich Zweifel, ob das Prinzip »survival of the fittest« auf uns anwendbar ist. Ich schätze, das wird die Zeit zeigen.
Zunächst
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